Verdienstvolle Kärrnerarbeit

Handbuch des Berliner Parlaments 1946 bis 1963 erschienen

  • Kurt Wernicke
  • Lesedauer: 2 Min.
Verdienstvolle Kärrnerarbeit

Nach jahrelangen Recherchen im Archiv legten zwei Berlin-Historiker ein Handbuch über die nach der Hitler-Diktatur erste frei gewählte Berliner Stadtverordnetenversammlung vor. Es enthält rund 500 biografische Skizzen, was allein schon auf die Kärrnerarbeit von Werner Breunig und Andreas Herbst verweist.

Das Berliner Nachkriegsparlament trat erstmals am 26. November 1946 zusammen. Damals war Berlin staatsrechtlich gesehen kein »Land«. In diese Position rückte der Westteil der Stadt erst mit dem Inkrafttreten der Berliner Verfassung vom 1. Oktober 1950. Die parlamentarische Vertretung hieß nun auch nicht mehr Stadtverordnetenversammlung, sondern Abgeordnetenhaus. Im Gefolge des Kalten Krieges zwischen Ost und West hatten sich die Hoffnungen von 1946 zerschlagen, den widersprüchlichen Großmachtinteressen geopfert. Daran erinnert die sachkundige Einführung von Siegfried Heimann unter dem treffenden Titel »Blütenträume und die Mühen der Ebene«.

Hier erfährt man auch, warum die Publikation mit der 3. Wahlperiode des (West)Berliner Abgeordnetenhauses im Januar 1963 schließt. Im Dezember 1958, zu Beginn der durch das Chruschtchow-Ultimatum ausgelösten neuen Berlin-Krise gewählt, war dieses Parlament mit dem »Schock« des 13. August 1961 konfrontiert gewesen. Am Ende seiner Tätigkeit konnte es jedoch konstatieren, dass die mit der Grenzschließung befürchtete »Austrocknung« West-Berlins nicht eingetreten war und die Bürger des Westteils sich an die neuen Verhältnisse anzupassen gewusst hatten. Hinzuzufügen wäre noch, dass just zu diesem Zeitpunkt mit dem ersten Passierscheinabkommen eine erste Schwalbe flog, die einer Politik des unaufgeregten Nebeneinanders zweier gänzlich unterschiedlicher Systeme den Weg bereitete, was letztlich über zwei Jahrzehnte später zum Mauerfall führte.

Im biografischen Teil des Handbuches tauchen viele bekannte Persönlichkeiten auf, so Willy Brandt, Franz Neumann und Otto Suhr, die späteren Bundesminister Jakob Kaiser und Ernst Lemmer, sowie Heinz Kessler (1946 der jüngste Abgeordnete, später DDR-Verteidigungsminister) und Karl Maron (1946 Vorsitzender des Wirtschaftspolitischen Ausschusses, später DDR-Innenminister). Vorgestellt werden auch Biografien mit Brüchen. Eine von diesen betrifft den CDU-Abgeordneten Helmut Brandt, der im April 1948 aus seiner Fraktion ausgeschlossen wurde, weil er auf der Liste für den III. Deutschen Volkskongress kandidierte, dann 1949/50 Justiz-Staatssekretär in der Provisorischen Regierung der DDR war, aber 1950 verhaftet wurde, weil er sich gegen die summarischen Waldheimer Prozesse gewandt hatte. 1954 wurde er zu zehn Jahren Zuchthaus verurteilt.

Kurzum: Dieses Handbuch gibt vielfach auch Akteuren wieder ein Gesicht, die schon fast oder bereits gänzlich vergessen sind.

Werner Breunig/Andreas Herbst: Biografisches Handbuch der Berliner Stadtverordneten und Abgeordneten 1946-1963. 331 S., geb., 14,95 € (erhältlich im Berliner Landesarchiv).

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