Riskanter Weg zu den Planeten

Die kosmische Strahlung von der Sonne und aus den Weiten des Alls bedroht Mensch und Elektronik

  • Jacqueline Myrrhe
  • Lesedauer: 4 Min.

Die Fachwelt in Russland ist sich noch immer uneins über die wahre Ursache des Versagens der »Phobos-Grunt«-Mission im November 2011. Das amtliche Gutachten der russischen Raumfahrtbehörde Roscosmos geht von einem Programmierfehler aus. Andere Kenner der Materie, wie Igor Marinin, Chefredakteur der führenden russischen Raumfahrtpublikation »Nowosti Kosmonawtiki«, verweisen darauf, dass in den vergangenen 13 Jahren 42 Satelliten durch kosmische Strahlung außer Betrieb gesetzt wurden. »Phobos-Grunt« flog aber noch innerhalb des Erdmagnetfeldes, das weitgehend vor der harten kosmischen Strahlung schützt.

Die europäische Raumfahrtorganisation ESA lässt sich von diesen Widersprüchen nicht irritieren. Denn nach dem NASA-Ausstieg bei der geplanten zweiteiligen ExoMars-Mission in den Jahren 2016 und 2018 bleibt nur Roscosmos als Partner. Dabei hat gerade die NASA Erfahrung beim Schutz von Raumschiffen vor kosmischer Strahlung. Anfang August 2011 startete sie ihre Jupitersonde »Juno«. Der wissenschaftliche Leiter der Mission, Scott Bolton vom Southwest Research Institute in San Antonio, kommentierte: »›Juno‹ ist im Prinzip ein Panzer, der zum Jupiter fliegt. Ohne die Abschirmung der Strahlungsschutzkammer würde ›Junos‹ elektronisches Gehirn schon bei der ersten Annäherung an Jupiter aufgeben. Die Kammer aus einem Zentimeter dicken Titan ist die erste ihrer Art.« Trotzdem rechnen die Ingenieure damit, dass auch die geschützte Elektronik nach gut einem Jahr Bombardement mit hochenergetischen Teilchen Ausfälle haben wird.

Stefan Reichl, Fachmann am IABG, dem führenden Raumfahrttestzentrum Europas, erklärt, welche Tests vorab machbar sind: »Wir testen im Raumfahrtzentrum in Ottobrunn die elektromagnetische Verträglichkeit eines Prüflings. Dabei werden gestrahlte und über die Kabel geleitete elektromagnetische Störungen simuliert. Es wird geprüft, ob der Satellit unter diesen Umständen noch korrekt funktioniert. Der Frequenzbereich reicht bis zu 40 Gigahertz und die Feldstärken bis zu 600 Volt pro Meter. Die kosmische Strahlung im All wird nicht direkt simuliert.«

In Bezug auf die gesundheitsschädigenden Faktoren der kosmischen Strahlung auf den Menschen tappen die Wissenschaftler allerdings noch weitgehend im Dunkeln. Es gibt keine zuverlässigen Aussagen dazu, welche Strahlung in welcher Dosis welchen Einfluss auf Gesundheit, Leistungsfähigkeit und Lebenserwartung von Raumfahrern hat. Zum einen liegt das an der Vielfalt der Strahlung. Dass reicht vom konstanten Fluss der hochenergetischen interstellaren Strahlung, bestehend aus Protonen, Alphateilchen (Heliumkerne) und einem Prozent schwerer Atomkerne bis hin zu den seltenen, aber heftigen Magnetstürmen als Folge von Sonneneruptionen. Letztere jagen besonders zu Zeiten hoher Sonnenaktivität Protonenwolken durch unser Planetensystem. Zum anderen liegt es aber auch an der komplexen Wechselwirkung von Strahlung mit jedweder Materie. »Der menschliche Körper ist auch eine Abschirmmasse. Die Strahlung dringt unterschiedlich tief in das Innere des Körpers ein. Aber die Strahlung verändert beim Durchdringen auch die Umgebung.«, erklärte Günther Reitz, Leiter der Abteilung Strahlenbiologie am Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR), vergangenes Jahr auf einem Symposium in Bonn. »Wir haben noch immer große Lücken in den Modellen, die die Weltraumstrahlung beschreiben, besonders für die Strahlungsgürtel, aber auch für die galaktische Weltraumstrahlung«, ergänzt er. Unser gesamtes Wissen über Reisen jenseits der Erdumlaufbahn stammt von den neun »Apollo«-Flügen zum Mond von 1968 bis 1972, die während erhöhter Sonnenaktivität stattfanden. Von den 27 Astronauten, die zum Mond flogen, sind derweil sechs verstorben, nur zwei erlagen einem Krebsleiden. Der Rest ist Ende 70 bis Anfang 80 Jahre alt und fit. Allerdings hatten die »Apollo«-Astronauten viel Glück: Ein enormer Sonnensturm ereignete sich genau zwischen den letzten beiden Mondflügen.

Um Gesundheitsrisiken besser zu verstehen, müsste für jede Strahlungsart das primäre und sekundäre Gefahrenpotenzial definiert werden. Studien an Zellkulturen müssten mit Tierexperimenten untermauert werden. Kurioserweise ist aber dafür sowohl bei der NASA als auch bei den Europäern das Geld knapp. Reitz hat aus der Not eine Tugend gemacht und einen menschlichen Torso entworfen, der aus zwanzig Schichten unterschiedlicher Materialdichte aufgebaut ist, um die Gewebestrukturen des Menschen nachzuempfinden. Innerhalb der Körperschichten der »Matroshka« getauften Puppe befinden sich Strahlungssensoren. »›Matroshka‹ ist das erste Experiment, um die Verteilung der Strahlungsbelastung im menschlichen Körper zu messen.«, erklärt Strahlungsexperte Reitz. Der Torso war seit 2004 auf der ISS im Außenbord- und Inneneinsatz und seit 2009 als Testobjekt für die Medizinforschung an das GSI Helmholtzzentrum für Schwerionenforschung nach Darmstadt abkommandiert. »Wir nutzen Matroshka auch für die Bestimmung der Strahlungsverteilung nach einer Tumorbehandlung«, sagt Reitz. Es gehe darum, die Tumorbestrahlung so gezielt wie möglich und für das umliegende Gewebe so schonend wie möglich zu gestalten.

Erkenntnisse aus der Humanforschung lassen sich teilweise auch auf die Modellrechnungen für Satelliten übertragen. Die Roscosmos-Untersuchung zum »Phobos-Grunt«-Fehlschlag mahnt die Erstellung mathematischer Abschätzungen der Wirkung ionisierender Strahlung auf interplanetare Raumschiffe an. ExoMars wäre ein guter Testfall dafür.

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