nd-aktuell.de / 27.02.2012 / Politik / Seite 8

Wahlkampf um die Christen in den USA

Auf dem »Marktplatz der Religionen« neigt sich die Waage derzeit nach rechts

Max Böhnel, New York
Eiferer gegen die Homoehe und Schwangerschaftsabbrüche selbst nach einer Vergewaltigung machen im Vorwahlkampf lautstark von sich reden. Der tiefreligiöse republikanische Präsidentenbewerber Rick Santorum ist im Aufwind. Wo aber steht die bisher schweigende Mehrheit der US-amerikanischen Christen?

In keinem anderen Land der Welt sind die Christen so schwer zu durchschauen wie in de USA. Das liegt zum einen daran, dass »Gods own country« im Vergleich mit anderen Industrienationen tatsächlich eine Bastion des Glaubens geblieben ist. Zwei Drittel der Amerikaner glauben, dass es einen Gott gibt, in Westeuropa nur ein Drittel. Fast die Hälfte der US-Amerikaner geht einmal pro Woche in die Kirche - in Skandinavien jeder Zwanzigste, im katholischen Spanien jeder Vierte. Dazu kommen die Bedeutung von Religion in der Gesellschaft, die schiere Masse und die unvergleichliche Vielfalt der Christen, die das Land zwischen Atlantik und Pazifik zur Ausnahmenation in Sachen Christentum machen. 76 Prozent der Bevölkerung sind nach den letzten verfügbaren Zahlen von 2008 Christen, schätzungsweise also 235 Millionen. Damit sind die USA das Land mit den meisten Christen weltweit.

Aus historischen Gründen, einer davon sind die Einwandererwellen, waren die USA der Marktplatz der Religionen, und sie sind es geblieben. Für jeden Geschmack ist etwas im Angebot - und wenn nicht, dann bieten die peinlich genau beobachtete Religionsfreiheit und die Freiheit des Marktes jedem die Möglichkeit, eine neue religiöse Richtung zu erfinden und zu vermarkten. So machen die Katholiken mit fast 70 Millionen Mitgliedern mit Abstand die größte christliche Einzelgemeinde aus, gefolgt von der Southern Baptist Convention. Die aber ist den Protestanten zuzurechnen, wie viele weitere auch, etwa die Methodisten, die Presbyterianer, die Lutheraner und die Episkopalier. Grob gerechnet machen jedenfalls die Katholiken ein Viertel aus, die Protestanten die Hälfte.

Insgesamt identifizieren sich beachtliche acht von zehn US-Amerikanern mit einer der zahlreichen Konfessionen - was Meinungsforschungsinstituten schier unerschöpfliches Umfragematerial liefert. Da alle zwei Jahre Wahlen auf Bundesebene stattfinden, studieren Politiker aus Regierung und Opposition ständig die Ergebnisse und passen ihre Wahlkampfrhetorik entsprechend an. »God bless America« - dieser Gruß des Präsidenten nach jeder größeren Rede gehört seit Jahren unwidersprochen hinzu.

Das Pew-Forschungszentrum in der Hauptstadt Washington, eine zum Konservatismus neigende Denkfabrik, liefert seit Jahren zuverlässige wissenschaftliche Umfrageergebnisse, darunter auch aus den Bereichen Religion und öffentliches Leben. Anfang Februar förderte Pew die jüngsten Trends zur Rechts- beziehungsweise Linksorientierung religiös orientierter US-Amerikaner zutage. Das Ergebnis: In allen Bereichen kaufen die Republikaner den Obama-Demokraten den Schneid ab. Die Tendenz lautet »weg von den Liberalen« und »hin zu den Konservativen«. Grundlage der Meinungsumfrage waren 84 000 Telefoninterviews, die zwischen 2008 (dem Wahljahr Obamas) und 2011 geführt wurden.

Das Institut stellte fest, dass im Umfragezeitraum von drei Jahren die Zahl der registrierten Mitglieder der Demokraten, unabhängig von ihrer Religiosität, abnahm, während die Zahl der Republikaner etwa gleich blieb. Gleichzeitig nahmen bei denjenigen christlichen Wählern, die sich selbst als religiös bezeichneten, die Sympathien für die Partei Obamas ab. Gemeint sind damit die regelmäßigen wie auch die unregelmäßigen Kirchgänger.

Prozentual gesehen am konservativsten sind üblicherweise die weißen evangelikalen Protestanten. Zwei von drei von ihnen hatten sich bei den letzten Präsidentenwahlen gegen Obama oder einen demokratischen Kongressabgeordneten oder Senator entschieden. Heute wären es fünf Prozent mehr, also sieben von zehn. Die Republikaner und ihre Politiker werden den Vorhersagen zufolge auch bei den nicht-evangelikalen, gemäßigten Protestanten Gewinne verbuchen können. Diese sogenannten »Mainline«-Protestanten, also Methodisten, Presbyterianer oder Lutheraner, hatten sich 2008 noch die Waage gehalten, was ihre Wahlneigungen zu Demokraten und Republikanern anging. Der Pew-Umfrage zufolge würde der Durchschnittsprotestant heute inzwischen aber lieber konservativ wählen. In Zahlen ausgedrückt würden die Republikaner von den »Mainline Protestants« 51 Prozent erhalten, die Demokraten aber nur 39 Prozent. Vergleichbare Veränderungen zugunsten des Konservatismus ergäben sich Pew zufolge auch bei den weißen Katholiken. Jeder Zweite hatte bei den letzten Präsidentschaftswahlen demokratisch gestimmt. Heute würde ihr Anteil auf 41 Prozent schrumpfen.

Über die Gründe für den Rechtstrend im religiösen Mainstream der USA lässt sich das Forschungszentrum freilich nicht aus. Mit Sicherheit beschäftigen die beunruhigenden Zahlen die Strategen im Weißen Haus und die demokratischen Abgeordneten und Senatoren. Ein Hinweis darauf sind andere Umfragen, in denen die Wählerschaft nach ihrer Prioritätenliste gefragt wird. Wirtschaft, Haushaltsdefizit, und Gesundheitsversorgung rangieren darauf seit Monaten mit Abstand ganz oben. Traditionell »wertorientierte« Themen, die noch vor ein paar Jahren als Kluft in den »Kulturkriegen« zwischen Liberalen und Konservativen galten, befinden sich ganz unten, etwa Abtreibung oder Schwulenehe.

Offenbar gilt auch bei den religiös Orientierten der USA das Brechtsche Diktum vom »Fressen vor der Moral«. Obama und die Demokraten gelten bei ihnen immer mehr als diejenigen, die gegen die Verschuldung, die Arbeitslosigkeit und die Zwangsräumungen nicht entsprechend vorgegangen sind.