nd-aktuell.de / 27.02.2012 / Kultur / Seite 16

Ein radikaler, fantasiereicher Aufklärer

Matthias Schindler über Annäherungen an Willi Münzenberg

Schindler: "Kein Ehrenhain"
Schindler: "Kein Ehrenhain"

nd: Der große Konferenzsaal im Bürohaus am Berliner Franz-Mehring-Platz 1 trägt seit 2006 den Namen von Willi Münzenberg. Warum fiel die Wahl gerade auf diesen deutschen Kommunisten, den »roten Presse-Zar«?
Schindler: Der Tagungsbereich sollte ein Gesicht bekommen, das die Bandbreite der Mieter und Veranstalter im Haus verbinden, das aber auch herausfordern könnte. Mit Münzenberg und seiner engsten Verknüpfung von politischer und wirtschaftlicher Tätigkeit, von Medien, Bildung und Öffentlichkeit sah ich diese Möglichkeit für das Haus am besten verkörpert. Es lag keine Sehnsucht nach Erinnerungszimmern, Ehrenhainen etc. darin.

Wofür steht Münzenberg?
Für Aufklärung, Fantasie, Innovation, Radikalität, Klarheit, Offenheit, Bündnisfähigkeit, Massenwirksamkeit. Sein Name steht auch für Vergnügen bei der Veranschaulichung der Widersprüchlichkeit dieser Welt, für Lust bei der Auseinandersetzung um eine gesellschaftliche Alternative - bei unbedingter Wirtschaftlichkeit.

Warum laden Sie am heutigen Montag in den Münzenberg-Saal?
Es ist der 79. Jahrestag des Reichstagsbrandes. Es wird eine Installation unter dem Titel »Vom Verschwinden des Willi Münzenberg« vorgestellt, die bis zum Jahrestag des Reichstagsbrandprozesses im Herbst erarbeitet wird. Für Willi Münzenberg war der 27. Februar 1933 sicher eine Zäsur, auch wenn er dies am Abend jenes Tages, beim Skatspiel mit Freunden nach einer politischen Veranstaltung, gar nicht so unmittelbar empfunden haben soll. Er fand sich jedoch prominent auf den ersten Fahndungslisten der Nazis. Die von ihm wesentlich geprägten und repräsentierten Organisationen und Unternehmen, Mitarbeiter sowie Verbündete standen nach der Brandnacht grundsätzlich zur Disposition. Und eben dieser Moment absoluter existenzieller Unsicherheit ist aus meiner Sicht der richtige Ansatz einer Annäherung. Nur Monate später hat Münzenberg mit dem »Braunbuch« zum Reichstagsbrandprozess eine aufsehenerregende Antwort formuliert.

Worauf bezieht sich das »Verschwinden« im Titel der geplanten Installation?
Das Verschwinden kann zunächst auf die Umstände seines Todes bezogen werden. Für seine letzten Wegbegleiter ist er tatsächlich am Abend des 20. Juni 1940 verschwunden; er wurde Monate später erhängt im Wald von St. Marcellin in Frankreich gefunden. Der zentrale Bezugspunkt ist jedoch für uns der Bruch des Kommunisten Münzenberg mit Stalin 1939, der letztlich zum weitgehenden Verschwinden Münzenbergs aus den Geschichtsbüchern seiner Bewegung führten bzw. auch zu seiner Instrumentalisierung als Zeuge gegen diese Geschichtsbücher.

Was erwartet die Besucher der heutigen Veranstaltung?
Wir haben den Untertitel »Erste Fundstücke einer Freilegung« gewählt. So wie eben das Verschwinden ein langer, widerspruchsvoller Prozess war, so liegen auch Person, Tätigkeit und Wirkungsmächtigkeit nicht plötzlich frei - und alles ist gesagt. Wir wollen sukzessive Bruchstücke in Bildern zusammensetzen. Man kann das heute und später in weiteren Veranstaltungen multimedial sehen, hören und auch anfassen.

Wer sind »wir«?
»Wir« steht für die Rosa Luxemburg-Stiftung mit ihrem Promotionsstudenten Uwe Sonnenberg, für den Karl Dietz Verlag, Media Service, »nd« und drei junge Frauen. Ich hoffe, sie alle werden nicht die einzigen Begleiter bei der weiteren Annäherung an Willi Münzenberg bleiben. Fragen: Karlen Vesper

Dr. Matthias Schindler arbeitet als Geschäftsführer der Communio Genossenschaft, die Gesellschafter des »nd« ist.