Die freundlichste Herberge am Camino

Immer mehr Deutsche wandern auf dem Jakobsweg

  • Hubert Thielicke
  • Lesedauer: 8 Min.
Der Weg ist das Ziel – am Camino in Kastilien-Leon
Der Weg ist das Ziel – am Camino in Kastilien-Leon

Im vergangenen Jahr kamen in Santiago de Compostela mehr als 180.000 Pilger an, darunter etwa 16.500 aus Deutschland. Die Mehrheit nimmt den Weg aus religiösen Gründen auf sich; für viele andere zählen spirituelle, persönliche und kulturelle Motive, nicht zuletzt auch die Freude an der Wanderung durch die abwechslungsreiche Landschaft entlang des Camino.

Am Abend herrscht ausgelassene Stimmung in der kleinen Herberge von Alejandro. Rund um den großen Tisch in der Diele hat sich eine bunte Gesellschaft versammelt: ein knappes Dutzend Spanier, einige Deutsche und Portugiesen. Der Herbergsvater und Gehilfe Alberto servieren ihre selbst gekochten Spezialitäten, spanischer Wein darf natürlich nicht fehlen. Beim anschließenden Wechselgesang sind die Spanier nicht zu übertreffen, ob aus Andalusien, Asturien, Navarra, oder Valencia - jeder hat seine heimischen Volkslieder parat. Schnell wird klar, warum Alejandros Herberge einen hervorragenden Ruf genießt. Vor fünf Jahren hängte der junge Mann seinen Beruf als Taxifahrer in Madrid an den Nagel, zog in das Örtchen Bodenaya und brachte das alte Haus auf Vordermann. Mit 15 Pilgern ist es bis unters Dach belegt, aber die Enge stört hier niemanden. Alejandro ist übrigens selbst ein gestandener Pilger. Im Winter schließt er sein Haus und zieht auf den verschiedensten Wegen gen Santiago.

Viele Wege führen nach Santiago

Am nächsten Morgen ist zeitiges Aufstehen angesagt, denn nun beginnt der Ernst des Weges, in diesem Fall des Camino primitivo - des Ursprünglichen Jakobsweges. Die bisher etwa 60 Kilometer ab Oviedo, der Hauptstadt Asturiens, stellten für den Wanderer keine wesentliche Schwierigkeit dar, aber nun geht es über das raue Kantabrische Gebirge bis in die alte Römerstadt Lugo, von dort dann zum Hauptweg, dem Camino francés.

Bereits vor etwa 1.200 Jahren soll der asturische König Alfons II. der Keusche hier entlang gezogen sein und damit den Ursprünglichen Jakobsweg begründet haben. Etliche Jahre zuvor fand angeblich ein Einsiedler die Überreste des Jesusjüngers Jakobus in der Gegend, die später Santiago de Compostela - Heiliger Jakob vom Sternenfeld - genannt wurde. Sein Bischof machte die Sache publik und die Pilgerschaft konnte beginnen. Dem Adel in den jungen spanischen Fürstentümern am Rande der Pyrenäen kam die Sache gelegen, gebraucht wurde ein bekannter Heiliger, unter dessen Banner man gegen die muslimischen Mauren ziehen konnte. Die hatten zu Beginn des achten Jahrhunderts den größten Teil der Iberischen Halbinsel erobert. Im Zuge der Reconquista, der Rückeroberung, schoben die christlichen Teilstaaten, die sich inzwischen meist zu Königreichen »gemausert« hatten, ihre Grenzen immer weiter nach Süden vor.

Damit entstanden auch neue Jakobswege, vor allem der Camino francés, der von der französischen Grenze über die Pyrenäen, Navarra, Kastilien und Galicien nach Santiago führt, immerhin mehr als 800 Kilometer. Ähnlich lang ist der Küstenweg ab San Sebastian. Etwa tausend Kilometer hat vor sich, wer den Via de la Plata geht, von Sevilla bis Santiago. Mit seinen fast 250 Kilometern ist dagegen der Camino portugués ab Porto schon eher beschaulich zu nennen. Knapp zwei Wochen sollte man dafür einplanen, zumal wenn man sich unterwegs noch solche Orte wie Barcelos, Pontevedra oder Padrón anschauen möchte.

Dagegen bedürfen die längeren Wege schon einer guten Planung. Nicht jeder hat dafür fünf oder sechs Wochen Zeit. Vor allem spanische Pilger nehmen sich oft Teilstrecken von etwa einer Woche vor und brauchen so mehrere Jahre, um den ganzen Weg zu schaffen. Auch so mancher Deutsche geht den Hauptweg in zwei oder drei Jahresetappen.

Hape Kerkeling war für den Camino francés dann mal sechs Wochen weg, machte ihn mit seinem Reisebuch außerordentlich populär. Ob im französischen Staint-Jean-Pied-de-Port, in Roncevalles auf der spanischen Seite oder Pamplona - irgendwo beginnt die eigene Metamorphose vom Touristen zum Pilger. »Buen Camino«, freundlich grüßen Wanderer mit dem gleichen Ziel - schnell wird man Teil der großen Pilgerschar. Jedoch bereits die erste Nacht in einem Schlafsaal mit 20, 30 oder mehr müden Schlafgenossen, von denen immer mindestens einer schnarcht, lässt eine gewisse Abneigung gegen solche Massenquartiere aufkommen. Es finden sich aber auch günstige Pensionen und Hotels; der Camino verfügt über eine ausgezeichnete Infrastruktur.

Pamplona, die Hauptstadt Navarras ist sehenswert - die alte Festung, die größte auf der Iberischen Halbinsel, die Altstadt mit vielen Restaurants und Cafés, darunter das »Iruna«, wo Ernest Hemingway seine weltberühmten Stierkampfgeschichten notierte. Aber auch Burgos und Leon warten mit vielen Sehenswürdigkeiten auf, vor allem ihren wunderbaren Kathedralen; ein Verweilen lohnen ebenfalls Orte wie Puente la Reina, Estella, Santo Domingo de Calzada, Astorga oder Ponferrada. Der Weg ist gleichsam eine »Zeitreise« durch die Geschichte und Kultur Spaniens.

Er macht auch mit den vielfältigen Landschaften des Landes bekannt: das Pyrenäen-Vorland, die Weinberge von Navarra und La Rioja, die weite Ebene Kastiliens und schließlich das grüne, regenreiche Galicien. Die Pyrenäen, die Berge von Leon und Galicien, aber auch zahlreiche Hügel dazwischen verlangen dem Wanderer alles ab. Steht er dann aber am Cruz de Ferro auf der Höhe der Berge von Leon, überwiegt der Stolz auf das Erreichte.

Legenden und Geschichten

Die Pilgerrunde am Abend im Restaurant wie auch das gemeinsame Wandern bieten das Einzigartige des Jakobsweges: die Kommunikation mit Menschen aus aller Welt. Ob Pat aus Kanada oder Gerhard aus Österreich, es ist immer ein Gewinn, mit einem bis dahin unbekannten Menschen ein Stück des Camino zu gehen, sich auszutauschen, an den Gedanken und Erfahrungen des Anderen teilzuhaben.

Den Reiz des Weges machen ebenfalls die mit ihm verbundenen Legenden und Geschichten aus. Die romantische Felsenburg von Clavijo im Rioja erinnert an eine der Ursprungslegenden des Camino. Hier soll der Heilige im 9. Jahrhundert dem asturischen Heer erschienen sein und es zum Sieg über die Mauren geführt haben, weshalb er auch »Matamoros« - »Maurentöter« - genannt wird, mittelalterliche PR vom Feinsten. Ein eher unblutiges kämpferisches Ereignis fand auf der malerischen Brücke von Orbigo im Heiligen Jahr 1434 statt: Ein Ritter aus Leon forderte alle nach Santiago pilgernde »Kollegen« zum Wettkampf heraus, blieb dabei immer siegreich.

Kilometerweit zieht sich der Weg über die kastilische Ebene. Auf Straßen sausen Autos vorbei. Selbst gerade erst der Großstadthektik entflohen, fühlt sich der Wanderer gestört, er hat sich bereits an die Stille des Camino gewöhnt. Verlaufen kann man sich hier kaum. Geht es aber durch verwinkelte Dörfer, heißt es, gut auf die gelben Pfeile und die Wegsteine mit der Muschel zu achten. Aufpassen sollte man auch auf Dorfhunde, die mitunter gefährlich nahe kommen.

In Galicien nimmt der Pilgerstrom erheblich zu. Dass es nun nicht mehr weit ist bis Santiago de Compostela, zeigen die Kilometerzahlen auf den Wegsteinen. Endlich ist Lavacolla erreicht, die letzte Etappe beginnt. Am Dorfausgang wird der Bach überquert, von dem der Ort seinen Namen hat. Im Mittelalter wuschen sich hier die Pilger gründlich, um sauber den nahen Wallfahrtsort zu betreten. Diese Sitte geht allerdings wohl auf einen Übersetzungsfehler zurück. Als der französische Mönch Aymeric Picaud, Autor der ersten Beschreibung des Jakobsweges, hier vor fast 1000 Jahren vorbeikam, hörte er von den Einheimischen den Namen »Lavacolla«, was er als lateinisch »lava colea« interpretierte, auf gut Deutsch: »sich die Genitalien waschen«. In Galicisch bedeutete der Begriff aber »voller Geröll«, eins der vielen Missverständnisse der Weltgeschichte.

Bürokratie im Pilgerbüro

Endlich betritt man den Platz Praza do Obradoiro, über dem sich die Türme der Kathedrale in den Himmel recken. Hunderte Pilger haben sich vor der Mittagsmesse versammelt, bewundern das Bauwerk. Blickfang der Messe ist der Botafumeiro - ein großes Weihrauchgefäß, das an einem langen Seil von etwa zehn Priestern durch das Querschiff geschwenkt wird, dazu die Töne der gewaltigen Orgel und der Gesang einer Nonne.

Dann folgt noch etwas »Bürokratie«: Im Pilgerbüro legt man den Pilgerpass vor, den unterwegs mit vielen Stempeln versehenen Nachweis, dass mindestens 100 Kilometer zu Fuß oder 200 mit dem Fahrrad oder zu Pferde - auch das gibt es noch - zurückgelegt wurden. Dafür gibt es die »Compostela«, die Pilgerurkunde.

Die in Santiago verbleibende Zeit sollte man nutzen für einen Bummel durch die engen, geschäftigen Gassen der Altstadt. Nur zu bald trägt einen das Flugzeug in das gewohnte Leben zurück. Der Flug bietet Muße, über die Tage am Camino nachzudenken. Man hat völlig anders gelebt als sonst, sich gleichsam »entschleunigt«.


Informationen

Die Pilgerzahl ist in den letzten Jahren rasant gewachsen, waren es 1985 noch etwa 1245, so erhielten 2009 bereits fast 146 000 die Pilgerurkunde, im Heiligen Jahr 2010 waren es sogar 272 000. Der Anzahl nach stehen die Deutschen hinter den Spaniern und vor Italienern und Franzosen meist an zweiter Stelle. Als Motive gaben die Pilger 2011 an: religiöse (43 Prozent), religiöse und andere (51 Prozent), nicht religiöse (6 Prozent).

● Camino francés: der Hauptweg führt über ca. 800 Kilometer von der französisch-spanischen Grenze nach Santiago de Compostela. Empfehlenswert ist der Beginn in Pamplona, das von Deutschland aus leichter als die Ausgangspunkte an der spanisch-französischen Grenze zu erreichen ist.

● Anreise: mit Lufthansa www.lufthansa.com oder Air Berlin www.airberlin.com nach Bilbao, dann mit Bus nach Pamplona.

Übernachtungen: Pilgerherbergen: ca. 5 - 10 €, Pensionen: ca. 10 - 20 €, Hotels: ab 20 €.

● Credencial (Pilgerpass): erhältlich in Deutschland über die jeweiligen Jakobusgesellschaften www.jakobus-info.de; benötigt man zur Übernachtung in den Pilgerherbergen und als Nachweis für die Erlangung der Pilgerurkunde Compostela, von der es eine »religiöse« und eine »atheistische« Variante gibt.

● Literatur: Rother Wanderführer www.rother.de; Outdoor-Wanderführer, Conrad Stein Verlag www.conrad-stein-verlag.de

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