nd-aktuell.de / 27.03.2012 / Kultur / Seite 16

Zum Welttheatertag: Rettung einer Ehre

Hans-Dieter Schütt

In einem Vortrag in Brüssel, das Ethos des modernen Politikers betreffend, hat Europa-Funktionär José Manual Barroso einen Grund benannt, warum allgemein das Misstrauen gegen Politiker wachse: Diese bieten in dem, was sie sagen, »augenscheinlich zu oft und zu viel blanke Schauspielerei.« Blödsinn! Zum heutigen Internationalen Welttheatertag einmal mehr der Versuch, die Sparte des Komödianten vor dieser landläufigen Verunglimpfung in Schutz zu nehmen.

Denn: Politik hat mit Schauspielerei nichts zu tun. Sie bietet keinen König, der dem Narren in sich Lauf und Leine lässt; keiner ein Narr, der einen König aus sich zu machen weiß. Max Reinhardt, der große Theatermann Berlins, bezeichnete als Kern der Schauspielkunst: wesentlich zu werden, also nicht Verstellung, sondern Öffnung zu betreiben. Die Maske ist doch nur das Hilfsmittel, hinter dem die Schauspiel-Körper gnadenlos ungeschminkt ihrer Seele Kern präsentieren. Auf Bühnen werden die unsterblichen Lügen der Dichtung einzig wahr durch die Unverwechselbarkeit von Darstellern, die sich verausgaben mit dem, was ihnen von der Natur gegeben ist. Der Politiker jedoch muss meistens übertünchen, was ihm von der Natur gegeben ist. Und ungeschminkt geschieht schon gar nichts.

Es geht im Spiel darum, in fremder unwahrer Haut ahnbar zu machen, was in einem selber steckt: wahrer Prinz und König, wahrer Liebhaber und Ehebrecher; ein wahrer Mörder natürlich auch - wir morden schließlich ständig: Sehnsüchte und Ideen in uns; Handlungsfreiheit ist Vernichtung vieler anderer Optionen.

Verwandlung heißt: Anverwandtschaften deutlich zu machen. Die Behauptung muss gewagt werden: Wer sich nur gut vorstellen kann, aus dem wird nur ein mittelmäßiger Schauspieler. Zum guten Schauspieler führt einzig der Mut, die eigenen Unsicherheiten, das eigene Anfechtbare, das Bild des eigenen Abgrunds aberwitzig hemmungslos auf die Bretter zu werfen. Mit unserer Hoffnung, dass ein Schauspieler in jeder Rolle anders sei, verbinden wir zu gleichen Teilen die Erwartung, möglichst verlässlich seiner Unverkennbarkeit zu begegnen. Die Großen der Sparte sind immer wieder anders und bleiben doch sie selber. Das ist die Dialektik, die wir an diesen Narren lieben.

Muss man angesichts solcher Definitionen noch über Politik reden? Dort herrscht, um Profil zu bilden, eine Marketing-Strategie, die schleift, glättet, einebnet. Maskierung als Versteck. Wer dran risse, hat nicht mal mit Sicherheit ein Gesicht vor sich. Da wird oft genug etwas zur Schau gestellt, was eingängig wirken soll. Es ist aber das Gegenteil von Schauspielerei, weil es Authentizität, im Regelfall, nur vorgaukelt. Der Politiker ist ein Produkt, das möglichst vielen gefallen soll, da stört Eigensinn. Deshalb sind Politik-Berater traurige Arbeiter am Paradoxon: Sie produzieren Individualisten - von der Stange. Noch der Bunteste kräftigt die große Front der Entfärbten.

Theater sagt wahr, was uns die Politik weglügt. Gutes Schau-Spiel bedeutet: Glaubwürdigkeit. In der Politik ein bestürzender Mangel. Daher ist sie oft ein Trauer-Spiel.