Werbung

Verdrängung

Georg Schramm / Der Kabarettist erhielt am Montag in Stuttgart den Erich-Fromm-Preis 2012

  • Hans-Dieter Schütt
  • Lesedauer: 2 Min.

Dass ein Kabarettist den Erich-Fromm-Preis erhält, ist ein Sieg der Unterbewusstseins-Forschung durch den katastrophisch aufsprengenden Witz. Georg Schramm ganz Fromm: Vom Haben zum Sein zu gelangen, ist ein Weg des Niederreißens - der Mauern aus Verdrängung und Charakterangst in der eigenen Seele.

Seine Gestalten-Galerie: Bundeswehroffizier Sanftleben. Dann der alte SPDler, der die Protestgruppe »Sozialdemokraten in der SPD« gründete. Oder, immer wieder, der Rentner Lothar Dombrowski mit der kriegsversehrten Handschuhhand - ein galliger Bürger Gnatz, ein Gernegroß der privaten Rebellion; immer auf der Suche nach jemandem, »der meine Verachtung verdient«.

Geboren wurde Georg Schramm 1949 in Bad Homburg vor der Höhe. Er war das einzige Arbeiterkind in seiner Gymnasialklasse. Die Heeresoffiziersschule entlässt ihn wegen »charakterlicher Mängel«; einem Schicksal als ÖTV-Gewerkschaftsfunktionär entgeht er nur knapp. Er studiert Psychologie, praktiziert in einer Reha-Klinik. Ab 1985 Kabarett-Soloprogramme.

Schramms Kunst besteht darin, tragische Schicksalskomiker der deutschen Misere auf die Bühne zu stellen, deren Selbstverständnis zerschmilzt, bis nur noch ein Häufchen Klage bleibt. Oder Aggressivität, die als demokratische Teilhabe missverstanden werden darf. Er baut mit dem fast rührenden Stammtischraunen, der kenntnislosen Rechthaberei, der forschen Ideologie-Akrobatik und den bösen Ohnmachtsreflexen seiner Figuren das stimmige Bild einer höllischen Welt. Grundwahrheit: »Den Konzernen ist es egal, wer unter ihnen regiert.«

Mit den Jahren hat Schramm die Giftdosis seiner Kunst radikal erhöht. Sie passte eines Tages nicht mehr in den »Scheibenwischer« der ARD und wohl auch nicht mehr in »Neues aus der Anstalt« beim ZDF. Dieser Kabarettist ist auf dem Weg des besonderen Kassandrischen: Er sagt nicht voraus, er sagt wie nur Wenige seiner Zunft auf böseste Weise, was ist. Und wird so vom Kabarettisten zum Ankläger, dem der Fakt wichtiger wurde als die Pointe, eine gefundene Wirtschaftszahl irrsinniger als ein erfundener Witz.

Werde Mitglied der nd.Genossenschaft!
Seit dem 1. Januar 2022 wird das »nd« als unabhängige linke Zeitung herausgeben, welche der Belegschaft und den Leser*innen gehört. Sei dabei und unterstütze als Genossenschaftsmitglied Medienvielfalt und sichtbare linke Positionen. Jetzt die Beitrittserklärung ausfüllen.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft

Linken, unabhängigen Journalismus stärken!

Mehr und mehr Menschen lesen digital und sehr gern kostenfrei. Wir stehen mit unserem freiwilligen Bezahlmodell dafür ein, dass uns auch diejenigen lesen können, deren Einkommen für ein Abonnement nicht ausreicht. Damit wir weiterhin Journalismus mit dem Anspruch machen können, marginalisierte Stimmen zu Wort kommen zu lassen, Themen zu recherchieren, die in den großen bürgerlichen Medien nicht vor- oder zu kurz kommen, und aktuelle Themen aus linker Perspektive zu beleuchten, brauchen wir eure Unterstützung.

Hilf mit bei einer solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl.

Unterstützen über:
  • PayPal