nd-aktuell.de / 28.03.2012 / Wirtschaft und Umwelt / Seite 6

»Rekordhatz« macht krank

Gewerkschaftsbund fordert Anti-Stress-Verordnung am Arbeitsplatz

Robert D. Meyer
Mehr als die Hälfte der Beschäftigten beklagt sich über wachsenden Stress im Arbeitsleben, so das Ergebnis einer aktuellen Erhebung des Deutschen Gewerkschaftsbundes. Doch an die Ursachen traut sich die Politik laut DGB bisher nicht heran.

»Viele reden darüber, aber niemand setzt etwas um«, erzählt Hans-Jürgen Urban, Vorstandsmitglied der IG Metall. Dabei liegen die Erkenntnisse zu den Ursachen psychischer Belastungen am Arbeitsplatz seit langer Zeit den Führungstagen und der Politik vor. Stress am Arbeitsplatz, so die aktuelle Erhebung des DGB-Index, ist für immer mehr Beschäftigte ein ernsthaftes Problem. Bei der repräsentativen Erhebung gaben 52 Prozent der Arbeitnehmer an, sehr häufig oder oft gehetzt arbeiten zu müssen. Für fast zwei Drittel der Befragten ist die Arbeitsbelastung innerhalb der gleichen Arbeitszeit gestiegen.

Unternehmer fordern immer mehr von ihrer Belegschaft statt zusätzliches Personal einzustellen. Der DGB beobachtet seit der Einführung des Index »Gute Arbeit« im Jahr 2007 mit Sorge einige neue Entwicklungen im Berufsalltag vieler Menschen. So nehmen immer häufiger Beschäftigte ihre Aufgaben aus dem Unternehmen mit nach Hause. »Die Grenzen der Arbeit zerfließen immer mehr«, warnt deshalb Urban. Schon 15 Prozent arbeiten zusätzlich daheim, etwa ein Drittel macht sich in der Freizeit Gedanken über Schwierigkeiten im Job.

Edeltraud Glänzer, geschäftsführender Hauptvorstand bei der IG BCE, ergänzt, dass sich die Entwicklung nicht auf einzelne Unternehmensbereiche beschränkt, sondern überall erkennbar wird. Die Chemiegewerkschaft hat deshalb seit einigen Jahren in Zusammenarbeit mit Betriebsräten vor Ort mehrere Kampagnen durchgeführt, welche die Beschäftigten über Ursachen und Folgen von Stress bei zu hoher Arbeitsbelastung aufklären sollen.

Neben psychischen Erkrankungen sind dies finanzielle Einbußen. Bei 40 Prozent der Frauen und 30 Prozent der Männer, die heute eine Erwerbsminderungsrente beziehen, ist der Grund ein psychisches Leiden. »Fast 20 Prozent der Rentenzugänge erfolgen inzwischen über die Erwerbsminderungsrente«, sagte DGB-Vorstandsmitglied Annelie Buntenbach. Ingesamt, sagte Edeltraud Glänzer, haben Frauen häufiger mit hoher Arbeitsbelastung infolge der der unternehmerischen »Rekordhatz« zu kämpfen. Die Gründe liegen laut Glänzer in der weiterhin unerreichten Chancengleichheit der Geschlechter.

Um die Situation der Beschäftigten zu verbessern, führt der DGB Gespräche mit dem Bundesarbeitsministerium. Allerdings gehen die Ansichten von Arbeitsministerin Ursula von der Leyen (CDU) und den Gewerkschaften bisher deutlich auseinander. Während die Ministerin sich dafür ausspricht, die Arbeitnehmer im Bereich der Stressbewältigung zu schulen, setzt der DGB ganz klar auf Prävention zur Vermeidung der Ursachen. Deshalb fordert der Gewerkschaftsbund von der Regierung den Beschluss einer Anti-Stress-Verordnung. Diese müsse konkrete Regeln für Unternehmen enthalten, das Risiko von zu hoher Belastung für die Angestellten zu verringern.

Urban bezeichnet diese Zielstellung euphorisch als eine »humanisierte Arbeitswelt«, die letztlich aus seiner Sicht auch Vorteile für die Unternehmen bedeuten würde.