Bildbearbeitung umfasst mehr als technische Aspekte

Der Photoshop-Pionier Doc Baumann im nd-Gespräch

  • Susanne Dreistadt
  • Lesedauer: 7 Min.
Der Photoshop-Pionier Doc Baumann (61) beschäftigt sich seit mehr als 30 Jahren theoretisch und praktisch mit digitaler Bildbearbeitung. Er ist Herausgeber des Fachmagazins „DOCMA“, Grafiker, Autor von Fachbüchern, Schriftsteller und Kunstwissenschaftler. Über Amateure, Bildmanipulationen, Kennzeichnungspflicht, Kunst und Tabus in der Bildbearbeitung sprach mit ihm für „nd“ Susanne Dreistadt.
nd: Seit 1984 beschäftigen Sie sich mit digitaler Bildbearbeitung, gleichzeitig sind Sie promovierter Kunstwissenschaftler sowie als Grafiker, Journalist und Schriftsteller tätig. Welche dieser Kenntnisse sind besonders hilfreich bei Ihrer täglichen Arbeit?
Ich habe zwei Vorteile aus meiner Biographie: Einerseits kenne ich die von Photoshop digital simulierten Werkzeuge aus der Arbeit in der Dunkelkammer. Andererseits beschäftigte ich mich sehr viel mit Bildaufbau und Bild-Analysen. Dabei helfen mir meine Kenntnisse der Kunstwissenschaft und Kunstgeschichte, um beispielsweise Werbeanzeigen zu analysieren und sie in kunsthistorische und ikonografische Zusammenhänge einzuordnen.

Welche speziellen Kenntnisse braucht man für eine gute, wirkungsvolle Fotomontage?
Für eine wirklich überzeugende Foto-Montage muss man das Bildbearbeitungsrogramm sehr gut kennen. Es gehört sehr viel theoretisches Wissen dazu, Bildzusammenhänge zu analysieren und zu strukturieren. So enthalten sehr viele Anzeigen oder Illustrationen von hochprofessionellen Agenturen oft bildlogische oder Montagefehler. Wer bewusst schaut, den kann es schon gruseln und man fragt sich, womit diese Leute ihre hohen Honorare verdient haben.

Inzwischen besitzt beinah jeder einen digitalen Fotoapparat, Bildbearbeitungsprogramme sind immer preiswerter und einfacher zu bedienen. Wie schätzen Sie die Entwicklung der Deprofessionalisierung in der Bildbearbeitung ein?
Die ist auf jeden Fall da. Mit jeder Photoshop-Version seit 1990 sind Vereinfachungen dazugekommen. Früher musste man sehr hohes Wissen besitzen, viele Zwischenschritte einfügen, Funktionen zweckentfremden und viel mehr Zeit mitbringen. Inzwischen werden Funktionen unmittelbar in die Programme integriert. Durch diese Vereinfachungen muss man ein Programm nicht mehr genau durchblicken.

Werden Amateure damit zu einer ernst zu nehmenden Konkurrenz?
Sie werden nicht erst zu einer Konkurrenz, sie sind schon lange eine. Seit 2003 veranstaltet DOCMA jedes Jahr einen Wettbewerb in Digitaler Bildbearbeitung. Von Anfang an haben wir bewusst drei Gruppen unterschieden: Profis, Privatanwender und Leute aus dem Ausbildungsbereich. Bei denen aus dem Ausbildungsbereich sieht man, die stehen am Anfang und können noch nicht alles. Engagierte und erfahrene Privatanwender sind häufig besser als die Profis, vielleicht schlechter was das Konzeptuelle betrifft, aber besser im Hinblick auf die Anwendung der Werkzeuge. Die Profis hingegen benötigen die neueste Version wegen irgendwelcher Formate, haben aber keine Zeit, sich mit den vielen neuen Funktionen so vertraut zu machen, dass sie diese sinnvoll anwenden können.

Bildbearbeitung hat viele Einsatzfelder – sei es in der Werbung, Propaganda oder Kunst. Ab wann würden Sie bei einer Bildbearbeitung von Kunst sprechen?
Ich bin zwar Kunstwissenschaftler, inzwischen über 60 Jahre alt, aber ich weiß immer noch nicht, was Kunst ist. Ob ein Bild oder eine andere Konstellation Kunst ist oder nicht, das ist eine Bewertung, die von außen herangetragen wird. Es gibt sehr viele Illustrationen, die definitionsgemäß in die Kategorie Gebrauchsgrafik fallen, denen ich persönlich einen sehr viel höheren ästhetischen Wert zumessen würde, als vielen in Museen oder Galerien hängenden Werken.

Glauben Sie, dass Bildbearbeitung die Kunst verändert hat?
Da ich mit dem Begriff Kunst nicht viel anfangen kann, würde ich sagen, dass die Bildbearbeitung den Umgang mit Bildern sehr stark verändert hat. Die starke Verbreitung der Bearbeitungsprogramme und der medial verbreiteten Ergebnisse haben den Zugang zu Bildern sehr beeinflusst. Die Auseinandersetzung mit den Werken hat sich auch durch die Möglichkeit, das in ähnlicher Form selber machen zu können, verändert.
Das hat durchaus zwei Seiten. Einerseits erlauben diese Werkzeuge auch Laien, schwer zu erkennende Fälschungen vorzunehmen. Andererseits ist der naive Glaube, jedes Bild sei dokumentarisch, dadurch aufgeweicht. Die Leute glauben zweifelhaften Bildern nicht mehr unbedingt, nur weil sie so in der Zeitung abgebildet sind.

Seit Erfindung der Fotografie werden Fotos manipuliert. Wie stehen Sie zur Kennzeichnungspflicht für nachträglich bearbeitete Fotos?
Negativ. Zum einem müsste diese Kennzeichnung sehr differenzieren. Denn ein Logo mit [M] für manipuliert sagt nichts darüber aus, ob ein Bildretuscheur eine Fliege entfernt hat, die zufällig durchs Bild flog oder einen Politiker oder einen Soldaten in einer Kampfhandlung. Eine ausführliche Kennzeichnung würde praktisch eine extra Bildunterschrift bedeuten, was im Medienbereich bestimmt keiner will.
Außerdem müsste man sich einigen, wo eine zu kennzeichnende Bearbeitung anfängt. Ist eine Bildschärfung eine Bearbeitung, oder eine Aufhellung von kaum sichtbaren Tiefen? Wie steht es um die Anpassung der Farbstimmung oder die Beschneidung des Fotos? Oder beginnt eine Bearbeitung erst, wenn ich Pixel von einer Stelle an eine andere schiebe? Sind 50 Pixel noch legitim und ab 51 wird es problematisch?
Ich kann keine harten Grenzen, sondern nur weiche Grenzen setzen, deshalb bin ich dagegen. Anderseits wären sehr harte Sanktionen gegen Missbrauch nötig, sonst würde jeder Bildbetrachter annehmen, ein Bild unter dem kein [M] steht, sei authentisch. Ein Betrüger müsste nur das [M] weglassen und würde damit bis zum Dementi die Betrachtenden im Glauben lassen, das Bild sei original und authentisch. Darum halte ich überhaupt nichts von einer Kennzeichnungspflicht.

Gibt es für Sie Tabus bei Bildbearbeitungen?
Ich bin sehr wohl der Meinung, dass es Tabus gibt. Bei Bildbearbeitung geht es nicht nur um technische Aspekte, sondern auch um ethische und politische. Jeder Bildbearbeiter muss sich im Klaren sein, dass er für das Weltbild der Rezipienten, die solche Bilder hinterher sehen, mitverantwortlich ist, wenn diese davon ausgehen, dass Bild spiegele eine Szenerie authentisch wieder – insbesondere wenn die bearbeitete Version nicht nur einen Eindruck vermittelt, sondern auf Grundlage dieser eine Wertung vorgenommen wird.

Es gibt ein Bild, dass einen amerikanischen Soldaten im Irakkrieg zeigt, der einem irakischen Gefangenen scheinbar eine Maschinenpistole an den Kopf hält. Wenn man jedoch das ganze Bild sieht, zeigt sich, dass die Waffe des Soldaten nur zufällig an der Stelle ist und ein anderer Soldat dem Iraker Wasser gibt. Das heißt, ich kann auch dadurch, das ich ein völlig authentisches Bild aus seinem Zusammenhang reiße, einen völlig falschen Eindruck erwecken.

Sie arbeiten auch als Gutachter und überprüfen die Echtheit von Fotos. Wie kann man sich solch forensische Bild-Untersuchungen vorstellen?
Auf Anfrage erstelle ich Gutachten, ich habe mich aber immer geweigert, vor Gericht aufzutreten, um nicht gezwungen zu sein meine Analysetechniken offenzulegen. Ich würde damit den Leuten, die zu blöd sind, gute Bildfälschungen zu machen, dann noch das Handwerkszeug liefern, damit sie beim nächsten Mal noch perfekter sind.
Für die Gutachten untersuche ich die Bilder auf Unstimmigkeiten. Ist etwas unsauber ausgeschnitten oder stammt aus einem anderen Bild? Gibt es Widersprüche von Perspektiven, Beleuchtung, Schattenwurf oder Schärfe und kann deshalb nicht stimmen? Ich kooperiere mit Leuten von Forschungsgruppen, die mit algorhythmischen Verfahren arbeiten und anhand bestimmter Profile sehen, ob es Unregelmäßigkeiten gibt, die auf eine Manipulation hinweisen.

Wie viele Stunden verbringen Sie täglich am Rechner? Wie viele Stunden sind der reinen Bildbearbeitung vorbehalten? Bearbeiten Sie jedes Ihrer Fotos nachträglich?
Im Prinzip verbringe ich den ganzen Tag am Computer, tagsüber arbeite ich für DOCMA, nachts schreibe ich an Büchern. Bildbearbeitung macht sicher zwei Drittel meines Wachlebens aus.
Wenn ich selber Fotos mache, haben die nur zwei Funktionen: Einerseits eine rein dokumentarische, d.h. als Art visuelles Notizbuch, um später Szenen für mein neues Buch schreiben zu können, andererseits fotografiere ich Wände, Wolken, Bäume, Hintergründe, Flächen oder Mauern, von denen ich weiß, dass ich sie für Bildmontagen brauchen könnte. Die in Bilddatenbanken zu findenden Strukturen, sind selten nach Kriterien fotografiert, die man wirklich für Bildbearbeitungen braucht .

Auf die Namensnennung des Fotografen wird inzwischen meist geachtet. Bei Bildbearbeitungen ist das seltener zu beobachten. Ein verändernswerter Missstand?
Darüber habe ich noch nie nachgedacht. Bei Büchern ist der Übersetzer selbstverständlich aufgeführt, bei Filmen sind es im Nachspann die am Film Mitwirkenden. Bei Bildern ist in der Regel nicht soviel Platz.
Wenn ich mir vorstelle, dass bei jedem Bild neben dem Fotografen die Bildbearbeiter namentlich auftauchen würden, halte ich das persönlich für ein wenig übertrieben.

Apropos Namen. Was hat es mit Ihrem Spitznamen Doc Baumann auf sich?
Ich habe bis 1980 an einer Hochschule gearbeitet und mich dann selbstständig gemacht. Zufällig lernte ich damals das Phänomen von bemalten Motorradtanks kennen und wollte ein Buch darüber schreiben. Ich merkte jedoch , dass mir mein kunstwissenschaftliches Wissen nicht weiterhalf und ich mich mit den Leuten unterhalten musste. Wie die sprichwörtliche Jungfrau zu dem Kinde war ich plötzlich Chef einer Motorradrockerzeitschrift, und da in der Rockerszene nicht so viele promovierte Leute rumlaufen, war es naheliegend, das ich den Spitznamen Doc bekam.
Jahre später schlug ein Verlagsmitarbeiter vor, mein neues Buch „Doc Baumanns digitale Bildwelten" zu nennen und seitdem hat sich dieser Name, der ursprünglich in der Rockerszene verbreitet war, auf die Bildbearbeiter ausgedehnt.


Doc Baumann
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