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Unbekannt meisterlich

Ulrich Weiß 70

  • Hans-Dieter Schütt
  • Lesedauer: 2 Min.

Heiner Kipphardt schrieb das Theaterstück »Bruder Eichmann«, das Wort vom Bruder tut weh. Tut es weh? Dann ist alles gut. Denn. Das Gute hat erst Sinn im wachen Schmerz darüber, dass es angreifbar ist, anfällig fürs Böse. Dialektik ist ein Klebstoff, der Seite und Kehrseite untrennbar bindet.

»Dein unbekannter Bruder« heißt der großartige Film von Ulrich Weiß, 1982 bei der DEFA gedreht. Der unbekannte Bruder ist - der Verräter neben dir. Und auch der Verräter sieht in dem, den er verrät - den Bruder. Faschistische Zeit als bizarre, im Drohenden durchaus suggestive Kunstwelt, ein Zaubern mit Symptomen und Signalen.

Die Atmosphäre ein Netz aus Stimmungen, die sich über dich werfen, ohne dass du dich wehrst. Passagen, in denen auch ein Melville oder ein Godard bestens fantasiert hätten. Und Filmgestalten, die nicht anders können, aber anders wollen. Die anders können, aber nicht anders wollen. Seelenschwäche und Angst produzieren Verbrecher. Wer foltert stärker, die Gestapo oder das Gewissen? Uwe Kockisch und Michael Gwisdek: der Illegale und der Verräter; bitter-raue Männerromantik in tödlicher Konsequenz.

Ulrich Weiß, 1942 in Wernigerode geboren, Fotograf, Kameraassistent, erst Kurz-, dann Spielfilmregisseur (»Tambari«, »Blauvogel«). In seinen Werken ist Leben eine Schöpfungsgeschichte, also: eine Erschöpfungsgeschichte. Schon Kinder im Spannungsfeld von Liebe und Lüge. Geschichte nicht als Lehre, was wir tun sollen, sondern als Lektion darüber, womit wir immer rechnen müssen. Und Bilder von Irrwegen, die immer auch ein verführerisch reizvolles Gelände sind.

Das alles war nicht unbedingt ein Wille zum kulturpolitischen Konsens, und die Kulturpolitik hatte verstanden: Ab 1983 wurden Weiß' Projekte regelmäßig von der DEFA abgelehnt. »Olle Henry«, die Boxergeschichte aus der Nachkriegszeit hatte den letzten Ausschlag gegeben. Weiß arbeitete, aber keinem Film war Geburt beschieden. Produktion als Elend.

1992 dreht er den bereits 1978 geschriebenen Film »Miraculi«. Volker Ranisch spielt einen Jungen, dem ein Zigarettendiebstahl zum Auslöser einer surrealistischen Sühnetour durch eine absurde DDR wird. Bilder einer Agonie, die aber überstrahlt wird vom Menschen, der aufblickt, der losgeht, der sich im Narren vollendet. Dessen Vogel-Freiheit darin besteht, dass er sich seinen Käfig trotzig selber sucht.

Heute wird Ulrich Weiß 70.

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