Eine vollständige Anerkennung als rechtlicher Vater

EGMR weist Klage leiblicher Väter ab

  • Lesedauer: 5 Min.
Leibliche Väter haben nach einem Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) vom 22. März 2012 nicht in jedem Fall Anspruch auf rechtliche Anerkennung der Vaterschaft, wenn das Kind in einer bestehenden Familie lebt (Beschwerdenummer 45071/09 und 23338/09).

Mit seiner Entscheidung wies der EGMR in Straßburg zwei Klagen von Männern aus Deutschland ab, die als Vater anerkannt werden wollten, betonte aber zugleich, dass auch der biologische Vater grundsätzlich ein Recht auf Umgang mit dem Kind hat.

Nach deutschem Recht kann der biologische Vater die Vaterschaft nicht einklagen, wenn zwischen dem offiziellen (rechtlichen) Vater und dem Kind eine »sozial-familiäre Beziehung« besteht. Diese Regelung verletze weder das Menschenrecht auf Achtung des Privat- und Familienlebens noch verstoße sie gegen das Diskriminierungsverbot, entschied der EGMR. Die Mitgliedstaaten der Menschenrechtskonvention - darunter Deutschland - hätten in solchen Fällen einen weiten Beurteilungsspielraum.

Der Gesetzgeber habe sich entschieden, dem bestehenden Familienverband zwischen dem Kind und seinem rechtlichen Vater Vorrang zu geben gegenüber der Beziehung zum leiblichen Vater.

Der EGMR hatte zuletzt in mehreren Entscheidungen die Position leiblicher Väter gestärkt, wenn es darum ging, die Kinder zu sehen und eine Beziehung zu ihnen aufzubauen. Die nun entschiedenen Klagen hätten jedoch ein weitreichenderes Ziel gehabt, so der Gerichtshof: »Sie waren auf ihre vollständige Anerkennung als rechtlicher Vater des jeweiligen Kindes ausgerichtet und somit darauf, die Vaterschaft des existierenden rechtlichen Vaters anzufechten.«

Die Konventionsstaaten seien zwar verpflichtet, den Umgang des leiblichen Vaters mit dem Kind zu ermöglichen, wenn dies im Interesse des Kindeswohls liege, so der EGMR. »Daraus folgt aber nicht notwendigerweise eine Verpflichtung (...), biologischen Vätern die Möglichkeit einzuräumen, den Status des rechtlichen Vaters anzufechten.«

Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig. Die Kläger können innerhalb von drei Monaten die Verweisung an die Große Kammer des EGMR beantragen.

Im ersten vor dem EGMR behandelten Fall hatte der in Berlin lebende Kläger ein halbes Jahr lang eine Beziehung zu einer Frau, die mit einem anderen Mann zusammenlebte. Ein paar Monate später bekam sie eine Tochter. Der mit ihr zusammenlebende Freund erkannte die Vaterschaft an. Das Mädchen wuchs bei den beiden auf.

Der heute 41-Jährige zog vor Gericht. Ein Gutachter bestätigte seine leibliche Vaterschaft. Doch die deutschen Richter wiesen die Klage ab: Es bestehe eine sozial-familiäre Beziehung zwischen dem rechtlichen Vater und dem Kind. Störungen sollten im Interesse des Kindes vermieden werden.

Im zweiten Fall vor dem EGMR in Straßburg hatte ein ebenfalls 41-jähriger Mann aus Willich in Nordrhein-Westfalen geklagt. Er war mit der Mutter des Kindes verheiratet, vier Monate nach der Scheidung bekam sie eine Tochter.

Mehr als ein Jahr später erklärte sich ihr neuer Partner offiziell zum Vater des Kindes. Kurz darauf heirateten die beiden. Auch hier lehnten die deutschen Gerichte die Klage ab. Da das Kind einen rechtlichen Vater habe, habe der Kläger auch kein Recht auf Feststellung seiner Vaterschaft durch einen Gentest.

Auch in diesem Punkt bestätigte der EGMR die deutschen Gerichte: Aus der Menschenrechtskonvention folgt kein Recht des mutmaßlichen Vaters auf einen Vaterschaftstest.

Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger reagierte auf das aktuelle Urteil mit dem Hinweis: »Jetzt gilt es zu entscheiden, inwieweit dem biologischen Vater punktuell Kontaktmöglichkeiten einzuräumen sind. Das Kindeswohl kann im Einzelfall eine Kontaktmöglichkeit mit dem biologischen Vater gebieten.«

Der biologische Vater ist im deutschen Gesetz nicht vorgesehen - und der rechtliche Vater ist nicht immer der echte. Die Entscheidungen des EGMR machen nunmehr eine Reform nötig.

Was das Sorgerecht unverheirateter Eltern angeht, ist derzeit ohnehin ein Gesetzentwurf in Arbeit. Bislang ist im deutschen Familienrecht geregelt, dass der Vater ein Recht auf Umgang hat - womit der rechtliche Vater gemeint ist, nicht der biologische.

Außerdem gibt es eine Bestimmung zum Umgang mit Großeltern und anderen Personen, die eine »sozial-familiäre Beziehung« zum Kind haben. Diese fehlt aber gerade in den Fällen, in denen das Kind beispielsweise mit der Mutter und ihrem neuen Partner zusammenlebt.

Zum Sorgerecht kursiert hierzulande derzeit ein neuer Gesetzentwurf - gleichfalls angestoßen von einer EGMR-Entscheidung aus dem Jahr 2009. Demnach dürfen Väter nichtehelicher Kinder nicht ohne Prüfung im Einzelfall vom Sorgerecht ausgeschlossen werden. Bislang waren sie auf die Zustimmung der Mutter angewiesen. Das Bundesverfassungsgericht zog 2010 nach und erklärte die Bestimmung für verfassungswidrig - seither gilt eine Übergangsregelung.

Erst Anfang dieses Monats einigte sich die Regierungskoalition auf die Eckpunkte für ein generell neues Gesetz. Ob zusätzliche Änderungen im Umgangsrecht noch in das laufende Gesetzgebungsverfahren einbezogen werden, sei noch nicht entschieden, heißt es im Justizministerium.

Selbst wenn der leibliche Vater sich mit dem Wunsch nach rechtlicher Anerkennung nicht durchsetzen kann - wenn das Kind volljährig ist, kann es noch immer die Vaterschaft des juristischen Vaters anfechten und den tatsächlichen Erzeuger in die Pflicht nehmen.

Die Wirklichkeit ist weniger eindeutig, als das Gesetz es vorsieht, meint die Berliner Familienrechtlerin Ingeborg Rakete-Dombek: »Der Gesetzgeber kann sich eben nicht vorstellen, dass ein Kind mehrere Eltern hat. Doch die Menschen verhalten sich eben oft nicht so, wie wir Juristen es uns gedacht haben.« In der Praxis könnte sich noch ein weiteres Problem ergeben, wenn nicht eindeutig ist, wer als Vater infrage kommt, so die Familienrechtsexpertin: Denn ein Anspruch auf einen Vaterschaftstest gibt es nach der Entscheidung des EGMR nicht.

dpa/nd


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