nd-aktuell.de / 19.04.2012 / Kultur / Seite 16

Flucht vor Schatten

Gaute Heivoll: »Bevor ich verbrenne«

Lilian-Astrid Geese

Es brennt. Plötzlich und immer wieder. Ein Brandstifter geht um in der kleinen norwegischen Gemeinde Finsland. Mit Benzin und Streichhölzern lässt er Scheunen und Wohnhäuser bis auf die Grundmauern niederbrennen. Vier alte Menschen finden, nachts überrascht vom Feuer, fast den Tod. Die Polizei ist ratlos. Dabei agiert der Täter immer offensichtlicher. Er kommt mit dem Auto. Er bleibt im Schatten der Flammen stehen. Er legt Spuren, möchte erkannt werden. Bis seine Eltern ihre lang verschlossenen Augen öffnen. Ihr Wunschkind, ihr Kronprinz, auf den sie so große Hoffnungen setzten, der Begabte, aus dem alles hätte werden können, ist der Täter. Ein Gescheiterter. Später wird ihn das Gericht für unzurechnungsfähig erklären und zu fünf Jahren Sicherungsverwahrung verurteilen.

Ein psychisch Kranker? Vom Militär Traumatisierter? Seinen Wehrdienst beendete er vorzeitig. Irgendetwas geschah. Was, werden wir nie erfahren. Ebenso wenig, wie wir wissen werden, wer der Motorradfahrer ist, der nach einem Unfall im Koma liegt. Oder wer ihn umfuhr. Vielleicht ist der Brandstifter jemand, für den das Leben einfach zu viel ist, weil die Chancen, die die Anderen ihm bieten wollen, nicht das sind, was er für sich erreichen will? Dabei weiß er nicht mal, was er möchte? Wie entkommt man seinem eigenen Schatten? Wie flieht man vor dem Schatten der Anderen? Wer ist der Mensch, der mich im Spiegel ansieht?

Aus der Perspektive seines Alter Egos - ein junger Dichters, der in dem Jahr, in dem die Brände in Finsland anfingen, geboren wurde, und die Vorfälle später aus Tagebuchaufzeichnungen seiner Großmutter, Zeitungsberichten und Gesprächen mit Zeitzeugen zu rekonstruieren sucht, komponiert Gaute Heivoll eine beklemmende Parabel auf Leben, Identität und Selbstbestimmung. Geheimnisse umwehen Dag, den Sohn des Brandmeisters Ingemann und seiner Frau Alma. Lethargie und Resignation prägen die Bewohner des Dorfes, das tot zu sein scheint, obwohl dort Menschen leben. Denn diese sind alt, zahnlos, beinamputiert, innerlich verblutend, herz- oder lungenkrank. Und gleichgültig was geschieht: Hier gibt es keine Veränderung. Wer anderes möchte, muss gehen. Wem dies nicht gelingt, der kann vielleicht noch ein Feuer entfachen. Doch am Ende kommt auch er um.

So bleibt dem gleichaltrigen Dichter in der Geschichte, der zwanzig Jahre nach den Ereignissen den Ausbruch mit Worten versucht, keine andere Wahl, als seinen eigenen Weg zu gehen. Entgegen aller Hoffnung und Erwartung der Familie, der Bleibenden.

Ein klassisch nordischer und sehr existenzialistischer Roman, der geradezu beängstigend realistisch das Gefühl des Getriebenseins des Pyromanen auf den Leser überträgt. Gaute Heivoll ist 1978 geboren und lebt in Finsland. Er studierte Jura, Psychologie und literarisches Schreiben und veröffentlichte Erzählungen, Gedichte und Kinderbücher. »Bevor ich verbrenne«, sein vierter Roman, und wurde von Ulrich Sonnenberg hervorragend aus dem Norwegischen übersetzt.

Gaute Heivoll, Bevor ich verbrenne. Roman. Aus dem Norwegischen von Ulrich Sonnenberg. Schöffling & Co. 312 S., geb., 21,95 €.