Solidarnosc-Erben in den Schützengräben

Regierungschef Donald Tusk klagt über neuen Kalten Krieg

  • Julian Bartosz, Wroclaw
  • Lesedauer: 3 Min.
Polen befinde sich in einer politischen Krise, gestand in der vergangenen Woche Regierungschef Donald Tusk. Zwar habe sich das Land der europaweiten Wirtschaftskrise entgegenstemmen können, doch sei die prekäre politische Lage kaum zu beherrschen.

Eine neue Front des Kalten Krieges werde in Polen errichtet, klagte Premier Tusk am Freitag. Mit scharfen Worten lehnte er die Sprache des Hasses und der Aggression ab, die seit Wochen von der oppositionellen Partei Recht und Gerechtigkeit (PiS) und ihrem Chef Jaroslaw Kaczynski gebraucht wird.

Einige Tage zuvor hatte Tusk der rechten Opposition ein »neues Targowica« vorgeworfen. Der Begriff steht in Polen für schlimmen Verrat. Ende des 18. Jahrhunderts hatten sich aristokratische polnische Reformgegner mit der Bitte um Hilfe an die russische Zarin Katarina II. gewandt und die Konföderation von Targowica verkündet. Diesmal handelte es sich um den provokativen Versuch eines PiS-Gremiums, die russische Staatsduma zur Intervention bei der Klärung des »Smolensker Anschlags« im April 2010 zu bewegen, weil - wie es heißt - polnische Behörden die »wahren Ursachen« des Flugzeugunglücks bei Smolensk, dem der damalige Präsident Lech Kaczynski und 95 weitere Persönlichkeiten zum Opfer fielen, bewusst verbergen. Antoni Macierewicz, der diesem Parteigremium vorsteht, verstieg sich sogar zu der Behauptung, indem seinerzeit ein Anschlag vorbereitet wurde, sei Polen der Krieg erklärt worden.

Am Wochenende trumpfte Jaroslaw Kaczynski auf. Zu einer Massendemonstration zur »Verteidigung von TV Trwam und Radio Maryja« waren mindestens 20 000 Teilnehmer aus dem ganzen Land zusammengetrommelt worden. Die Rundfunkbehörde versagt dem erzkatholischen TV Trwam bisher mangels finanzieller Sicherheiten eine digitale Sendelizenz, der Sender ist aber über Kabel, Satellit und Internet zu empfangen. Kaczynski nannte Donald Tusk einen Schwadroneur, der sich im Schwindeln verfangen habe, was ihn die Freiheit und das Leben kosten könne. Vor den Massen auf dem Warschauer Platz der Drei Kreuze predigte Bischof Antoni Dydycz, Polen brauche und erwarte eine Erneuerung. Die fromme Menge flehte den Heiligen Geist an, vom Himmel herabzukommen, um das »Antlitz dieser Erde zu wenden«. Das war eine Wiederholung der Worte, die Papst Johannes Paul II. gebraucht hatte, als er Polen 1979 zum ersten Mal als Pontifex besuchte.

Verrat, Lügen und Verzicht auf die Unabhängigkeit Polens werden dem Regierungschef und zuletzt sogar Staatspräsident Bronislaw Komorowski aus allen möglichen und bizarren Anlässen vorgeworfen. Katyn und Smolensk, verschiedene Jahrestage historischer Ereignisse und nicht zuletzt einige Reformvorhaben dienen der katholisch-nationalistischen Rechten zur Anklage gegen die Regierung.

Man fragt sich, welche Verleumdungen noch gestreut werden müssen, bevor die Staatsanwaltschaft Untersuchungen einleitet, ob denn nicht die schützenswerte Ehre der höchsten Vertreter des Staates verletzt wurde. »Tusk, wir holen dich bald« - war auf einem Spruchband der Frommen am Sonnabend zu lesen. Und ein geköpfter Donald Duck, wie man ihn aus Walt-Disney-Filmen kennt, war auch zu sehen. »Znajdzie sie kij na Tuska ryj« - Ein Stock auf Tusks Rüssel werde sich finden, hieß es mit an Fanatismus grenzendem Humor.

Selbst Lech Walesa, der sonst harte Sprüche nicht scheut, sah sich zur Stellungnahme veranlasst: »Wir dürfen uns den Sieg der Solidarnosc nicht vermasseln lassen, wir müssen die erkämpften Institutionen des demokratischen Rechtstaates verteidigen«, sagte er am Sonnabend. Aber sind es denn nicht die von Solidarnosc erzogenen »Eliten der neuen politischen Klasse«, die sich im Kampf um die Macht in den Schützengräben gegenüberliegen und den Zwist unter den Polen schüren?

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