Das Spiel mit der Zeit

Zum fünfjährigen Bestehen präsentiert das Art Laboratory Berlin »Imaginäre Zeitmaschinen«

  • Klaus Hammer
  • Lesedauer: 4 Min.

Was ist denn eigentlich Zeit? Die nicht umkehrbare, nicht wiederholbare Abfolge des Geschehens, die als Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft am Entstehen und Vergehen der Dinge erlebt wird, so ungefähr kann man es in jedem Lexikon lesen. Doch jeder Mensch empfindet die Zeitdehnung und Zeitraffung entsprechend den damit verbundenen Erlebnissen subjektiv anders. Eine an Erfahrungen reiche Zeitspanne wird im Moment des Erlebens als kurz, eine gleich lange Periode des Wartens als lang empfunden, in der späteren Erinnerung ist es dann genau umgekehrt. Das eigentliche Faszinosum der Zeit liegt aber in ihrer Unfasslichkeit, ihrer Unsichtbarkeit. Wie kann man Zeit überhaupt visualisieren? Mit dem Phänomen des zeitlichen Verlaufs, mit dem Synchronen, dem Simultanen wie mit dem Nacheinander setzt sich auch die Kunst auseinander, und so hat man dafür besondere Formen imaginärer Zeitmaschinen entwickelt.

Vor fünf Jahren wurde Art Laboratory Berlin als nichtkommerzieller Projektraum von einem internationalen Team von Kunsthistorikern und Künstlern gegründet und hat seitdem eine große Zahl an interdisziplinären Ausstellungsprojekten, Symposien, Performances und anderen Veranstaltungen im internationalen Kontext durchgeführt. Die jetzige Jubiläumsausstellung »Fantastic Time Machines« zeigt extra zu diesem Anlass konstruierte Installationen der in Israel geborenen und heute in New York lebenden Künstlerin Shlomit Lehavi und der beiden britischen Künstler Sam Belinfante & Simon Lewandowski.

Zunächst ist man etwas enttäuscht über das raumfüllende Sammelsurium unterschiedlicher, miteinander verkabelter Geräte und Maschinen, dem Belinfante/Lewandowski den anspruchsvollen Titel »The Reversing Machine (A Theatre of Kairos and Chronos)« gegeben haben. Doch dann, in Gang gesetzt, wird das Ganze höchst spannend: Ein im Zentrum der Installation stehender Mechanismus in der Form eines Wendegetriebes, die Künstler nennen es »Time-Setter« oder »Chronocrator«, sucht die zeitliche Wahrnehmung durch das Vor- und Zurückspielen, das Ein- und Ausschalten verschiedener Apparaturen (Plattenspieler, Projektor, Megaphon, Lichtinstallation, eine sich bewegende Lampe u.a.) zu versinnlichen - alles kehrt sich dann wieder um und fängt von vorne an. Das dreht und bewegt sich, leuchtet auf und erlischt, Buchstaben, Zahlen, Wörter, Begriffe wechseln einander ab, Stimmen sind zu hören, Musik erklingt, bricht ab und beginnt wie in einer Endlosschleife wieder von Neuem. Dieses An und Aus, Vorwärts und Rückwärts, Hinauf und Herunter, Laut und Leise, Hell und Dunkel, Verschwinden und Wiederauftauchen, Reden und Gegenreden wird nicht digital, sondern von einem Mechanismus gesteuert, der dem Betrachter einsehbar ist und »sowohl das Was als auch das Wie der Aktion offenlegt«, kommentieren die beiden Künstler. Die analogen wie gegenläufigen Prozesse in der Wahrnehmung von Zeit stellen moderne Konzepte eines linearen Fortschritts in Frage.

Dagegen erforscht Shlomit Lehavi in ihrer Videoinstallation »Time Sifter« das kollektive Gedächtnis, das kollektive Erinnern und Vergessen. An einer Stahlkonstruktion, die einem Totempfahl ähnelt, sind runde bewegliche Holzsiebe angebracht, die mit entsprechendem Projektions- und Videomaterial versehen wurden (mehr als 20 Filme sind hier gespeichert). In Bild und Ton wird hier Bewegung in unterschiedlichen Räumen und unterschiedlichen Zeiten wiedergegeben. Die Zeit soll gesichtet, sie soll im wörtlichen Sinne »gesiebt« werden. Die Wiederholung ähnlicher Handlungen - auf der Reise, während der Arbeit, beim Einkaufen und Flanieren, immer in Einzelbildern, die den Betrachter zu einer Fahrt durch den Kopf animieren - stellt ganz unterschiedliche Verbindungen und Betrachtungen über Zeit und Raum her. Bei den in Sekundenschnelle ablaufenden Bildern haben wir es mit einer Dynamisierung des Raums wie einer Verräumlichung der Zeit zu tun. Wenn der Besucher aber das Sieb berührt oder dreht, springt die Projektion sofort in ein neues Video über. Er wird also nicht überflutet von optischen und akustischen Reizen, sondern behält die Kontrolle über die Gestaltung des Raums, die Videosequenzen und den ununterbrochen auf ihn einströmenden Erzählfluss.

Beide Zeitmaschinen wollen einen Dialog über Zeit und Raum im digitalen Zeitalter anregen. Spielerisch kann der Besucher eine Zeitreise durch Bewegung, Klang und Raum unternehmen.

Bis 29.4., Art Laboratory Berlin, Prinzenallee 34, Do.-So. 14-18 Uhr

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