nd-aktuell.de / 24.04.2012 / Brandenburg / Seite 14

Das Schiffshebewerk und das Drumherum

Gelesen

Andreas Fritsche

»Es gibt auch Orte in der Mark Brandenburg, zu denen sich offenbar kein Fontane-Zitat finden lässt. Ein solcher Ort ist Niederfinow.« Wer von Niederfinow spreche, meine ohnehin meist das Schiffshebewerk - »und das wurde erst nach Fontanes Tod gebaut«. Mit diesen ironisch klingenden Bemerkungen leitet Ingrid Feix ihr Buch ein. »Niederfinow. Wo Schiffe Fahrstuhl fahren« lautet der Titel.

Es ist ein Buch über den Ort Niederfinow mit ausführlicher Beachtung des berühmten Schiffshebewerks oder - umgekehrt ausgedrückt - ein Buch über das Schiffshebewerk, in dem es auch um das Drumherum, um den Ort, seine Geschichte und seine Bewohner geht. Da gab es beispielsweise den VEB Kieswerke Niederfinow. Der lieferte Kies nach Westberlin - »Kies als Devisenbringer«.

1927 begannen die Erdarbeiten für den riesigen Schiffsfahrstuhl in Niederfinow. 1933 war das Bauwerk eigentlich schon fertig. Doch die Nazis verschoben den Eröffnungstermin willkürlich auf den 21. März 1934 und feierten dann »mit einem gewaltigen Festakt« diese »Großtat deutscher Technik«, wie es in ihrer Propaganda hieß. Feix notiert, dass die Faschisten den geringsten Anteil an der Entstehung des Schiffshebewerks hatten, aber beinahe für seine Zerstörung sorgten. Am 20. April 1945, also kurz vor Ende des Zweiten Weltkriegs, sei der dringliche Befehl bei der in der Nähe befindlichen 5. Jägerdivision eingetroffen, das Schiffshebewerk Niederfinow »unverzüglich« zu sprengen. Doch die Kommandeure verzögerten die Ausführung des Befehls und setzten sich dann schnell ab.

So steht und funktioniert das technische Wunderwerk noch heute äußerst präzise. Es gab in all den Jahren seit 1934 nur zwölf Störfälle und 47 Ausfalltage. Personen kamen dabei nie zu Schaden. Einst war das Schiffshebewerk in Niederfinow das größte der Welt. Es ist immer noch das größte Europas und das älteste auf dem Kontinent, das noch in Betrieb ist. Allerdings entsteht nebenan ein neuer Schiffsfahrstuhl, der ab dem Jahr 2014 größere Schiffe befördern kann.

Die Redakteurin und Buchlektorin Ingrid Feix hat nicht nur den Text verfasst, sondern auch einen Großteil der zumeist beeindruckenden Fotos selbst geschossen. Aufgenommen hat sie dabei auch den Werksleiter Jörg Schumacher, der verraten hat, er könne sich vorstellen, nach seinem Berufsleben Führungen für Besucher des Schiffshebewerks zu begleiten.

Der Stahlkoloss ist ein Touristenmagnet. Bis zu 300 000 Gäste kommen jedes Jahr. Öffnungszeiten und Eintrittspreise sind im Buch vermerkt. Fahrgastschiffe wie die »Freiherr von Münchhausen II« nehmen ihre Passagiere mit in den beweglichen Trog. Wer keine Zeit für eine solche Reise hat, der kann eine solche Schiffstour nacherleben, indem er liest, was Ingrid Feix darüber aufgeschrieben hat. Vor allem aber weckt die Autorin die Lust, doch selbst hinzufahren.



Ingrid Feix: »Niederfinow. Wo die Schiffe Fahrstuhl fahren«, be.bra, 80 Seiten (gebunden), 9,95 Euro, nd-Bestellservice, Tel.: (030) 29 78 17 77