nd-aktuell.de / 26.04.2012 / Kultur / Seite 15

Leseprobe

Nazi-Jäger

Wie viele Juden meiner Generation bin ich mit einer eindeutig negativen Einstellung zu Deutschland und allem Deutschen aufgezogen worden. Obwohl meine Eltern in Amerika geboren wurden und ihre Familien größtenteils lange vor dem Zweiten Weltkrieg aus Osteuropa eingewandert waren, boykottierten wir sehr bewusst deutsche Produkte ... In der Folgezeit des Holocaust musste man kein Überlebender sein, um Deutschland zu hassen. Einige unserer Verwandten waren zwar von den Nazis und ihren einheimischen Schergen ermordet worden, aber auch wenn dies nicht der Fall gewesen wäre, ging es hier um jüdische Solidarität ...

Als ich in meinen Zwanzigern nach Israel einwanderte, stand es noch immer außer Frage, dass Deutschland tabu war, ein Verbot, dem ich mich als etwas völlig Berechtigtem und durchaus Natürlichem gern fügte ... Und dann befand ich mich, durch Zufall, plötzlich auf deutschem Boden. Es war im Jahr 1978 und ich war auf dem Weg von Israel in die Vereinigten Staaten ... Man stelle sich mein Entsetzen und meine Frustration vor, als ich hörte, wie der Flugbegleiter ansagte, dass das Flugzeug außerplanmäßig in Frankfurt zwischenlanden würde und dass alle Passagiere aussteigen müssten. Ich konnte es nicht glauben! Gegen meinen Willen und trotz meiner sorgfältigen Planung würde ich keine Wahl haben, als deutschen Boden zu betreten ...

Den Anfang der endgültigen Veränderung meiner Ansichten bewirkten meine Begegnungen mit Simon Wiesenthal und seiner differenzierten Haltung zur Bundesrepublik im gleichen Jahr. Wiesenthal stand mit mehreren deutschen Staatsanwälten in engem Kontakt und betonte immer seine Ablehnung der kollektiven Bestrafung. Im Lauf der Zeit, besonders, als das Zentrum begann, sich aktiver an der weltweiten Jagd nach Nazi-Kriegsverbrechern zu beteiligen, wurde mir zunehmend klarer, dass man NS-Verbrecher nicht sehr erfolgreich zur Rechenschaft ziehen konnte, wenn man gleichzeitig einen Deutschland-Boykott aufrechterhielt.

Aus dem Vorwort von Efraim Zuroff zu seinem Buch »Operation Last Chance. Im Fadenkreuz des ›Nazi-Jägers‹« (Pospero, 275 S., br., 19 €).