nd-aktuell.de / 26.04.2012 / Kultur / Seite 15

Ideologie und Macht

Basiswissen Faschismus

Manfred Weißbecker

Dem Lesenden einen Einstieg in das Verständnis vielschichtiger Begriffe zu ermöglichen, auf wenigen Seiten Grundsätzliches verständlich darzulegen sowie tiefgründige Literaturstudien anzuregen - das gilt dem PapyRossa Verlag als Anliegen seiner verdienstvollen Publikationsreihe »Basiswissen«. In dieser äußerten sich bereits Georg Fülberth zu Kapitalismus und zu Sozialismus, andere bekannte Autoren legten ihre Auffassungen zu Imperialismus und Feminismus dar. Nunmehr bieten zwei jüngere Autoren einen Band zum Thema »Faschismus« an und werden sicher auf breites Interesse stoßen.

Drei Schwerpunkte sind es, die Guido Speckmann und Gerd Wiegel behandeln - orientiert am historischen Geschehen in Deutschland und Italien in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Fast die Hälfte des Bandes nimmt die Erörterung der Inhalte unterschiedlicher Faschismustheorien ein. Darin wird nachdrücklich betont, wie notwendig es ist, jeweils zu sagen, ob mit dem Faschismusbegriff Bestandteile der Ideologie gemeint sind, ob faschistische Bewegungen untersucht werden oder ob es sich um den Faschismus an der Macht handelt.

Der Leser erfährt außerordentlich viel über Faschismustheorien und unterschiedliche Sichtweisen auf die politischen, sozialökonomischen und geistesgeschichtlichen Voraussetzungen für den Faschismus. Dass beide Autoren in Marburg studiert haben, ist an ihrem oftmaligen Bezug auf Reinhard Kühnl erkennbar. Ausführlich legen sie dessen Auffassungen über die Grundelemente faschistischer Ideologie und seine Theorie vom Bündnis faschistischer Bewegungen mit den konservativen Eliten als der entscheidenden Voraussetzung für den Faschismus an der Macht dar.

Die Autoren diskutieren auch bonapartismustheoretische, sozialstrukturelle und psychologisierende Modelle. Im Abschnitt über neuere Definitionsbemühungen befassen sie sich insbesondere mit Roger Griffin, Wolfgang Wippermann und Karl Heinz Roth. Ihre eigenen Ansichten über den strukturellen Zusammenhang von Faschismus und bürgerlich-kapitalistischer Gesellschaft fassen sie in fünf »Mindestbedingungen« zusammen, die gegeben sein müssen, wenn der Faschismusbegriff sinnvoll verwandt werden soll.

Der zweite Teil des Bandes befasst sich direkt mit der Geschichte faschistischer Organisationen. Im Vordergrund stehen die NSDAP und die italienische PNF, ergänzt durch einen kursorischen Abschnitt »Faschismus anderswo«. Im dritten Kapitel behandeln die Verfasser Neofaschismus und Rechtspopulismus, deren Organisationen als nicht »systemoppositionell« eingeschätzt werden, da sie »im Rahmen des bestehenden politischen Systems an einer Rechtsverschiebung arbeiten« würden.

Immer wieder greifen Speckmann und Wiegel auf die in der Kommunistischen Internationale entwickelte Definition des Faschismus zurück. Sie kritisieren deren Schwächen, vor allem das starre Beharren auf ihr - trotz weiterer Entwicklungen hin zu Krieg und rassistischem Antisemitismus. Viele Seiten lesen sich in diesem Zusammenhang wie eine Analyse innermarxistischer Streitpunkte.

Dem Kundigen fehlt einiges, anderes erscheint ihm vielleicht stärkerer Beachtung wert - doch das wird hier keinesfalls kritisch vermerkt. Jeder, der sich mit dem Thema befasst, setzt nun einmal andere Akzente, worin sich nicht zuletzt die große Differenziertheit faschistischer Ideologie und Politik, aber auch deren Gefährlichkeit spiegelt.

Guido Speckmann/Gerd Wiegel: Faschismus. PapyRossa Verlag, Köln. 127 S., br., 9,90 €.