Wie weit geht der rechte Raum?

Der Bundesparteitag der Piraten wählt einen neuen Vorstand und muss sich mit Rechtsextremismus auseinandersetzen

Neumünster bereitet den Piraten, die mit der Bahn in die schleswig-holsteinische Provinz angereist sind, keinen gemütlichen Empfang. Es ist kalt, regnet und kaum aus dem Bahnhof herausgetreten, leuchten ihnen rote Plakate entgegen. Sehr unfreundliche Plakate: Keine Stimme den Nazis. Egal unter welcher Flagge sie segeln! Gleich neben dem »Nazis« in Fraktur prangt das Logo der Piratenpartei.

Damit macht die Linkspartei Wahlkampf in Schleswig-Holstein, wo auch einer dieser »Einzelfälle« zu finden ist, der die Piraten in den letzten Wochen beschäftigt. Der Lübecker Direktkandidat Manfred Vandersee hat sich dabei nicht nur über die finanzielle Unterstützung des Zentralrats der Juden durch den Bund ausgelassen. Die LINKE wirft ihm auch noch vor, via Twitter Werbung für Nazimusikgruppen gemacht zu haben. Heute Abend will sich der Landesvorstand der Piraten mit dem Fall befassen.

Schon vor dem Bundesparteitag war klar, dass es sich in den Holstenhallen an diesem Wochenende nicht nur um die Wahl eines neuen Bundesvorstands drehen wird. Die vielen Journalisten warteten doch nur darauf, dass irgendetwas passiert, lautet die Einschätzung einiger Piraten auf dem Weg nach Neumünster. Richtig.

Antifaschistische Piraten

Dass das Plakat der LINKEN, das gewollt oder nicht die gesamte Partei mit Nazis gleichsetzt, überzogen ist, wird in den Holstenhallen deutlich. Denn es gibt Widerstand gegen rechte Umtriebe - antifaschistischen. An einem kleinen Stand verkaufen einige Piraten T-Shirts: Good Night - White Pride steht auf einem und um das Symbol der Antifaschistischen Aktion »Antifaschistische Piraten« auf einem anderen. Die Shirts gehen gut weg, im Laufe des Tages tragen immer mehr Piraten eines davon.

Auf den Tischen in der Halle liegen Zettel mit einem Aufruf der Piraten Bonn aus, am 1. Mai gegen einen Nazisaufmarsch zu protestieren und auch für die Demo aus gleichem Anlass in Neumünster wird mit Flyern mobilisiert. Und an vielen Wänden sind Plakate angebracht, auf denen über unterschiedliche Spielarten des Rechtsextremismusproblems - nicht nur bei den Piraten! - aufgeklärt wird. Da finden sich zum Beispiel »Antisemit*innen«, »Leugner*innen« und »Meinungsfreiheitsaktivist*innen«. Das Plakat stammt von den gleichen Piraten, die auch die T-Shirts verkaufen. Und die waren schon vor der aktuellen Diskussion geplant, erzählt Alexander Morlang, Pirat im Berliner Abgeordnetenhaus. Man arbeite kontinuierlich an dem Problem. Man, das sind »Menschen, die etwas tun« umschreibt Morlang die Gruppe. »Viele Leute in der Partei sind nicht mit dem Kampf gegen Rechts aufgewachsen.« Das bedeute viel, viel Aufklärungsarbeit.

Eine Arbeit, die Morlang durch die Plakataktion der LINKEN erschwert sieht. »Die Empörung über die Plakate macht es schwieriger, über Rechte aufzuklären.« Das alles erzählt er, während nur ein paar Schritte vom T-Shirt-Stand entfernt ein grauhaariger Mann umringt von Kameras und Dutzenden Journalisten gleichzeitig deren Fragen beantwortet und mit anderen Piraten diskutiert. In den Händen hält er eines der Wahlplakate der Linkspartei. Vor wenigen Augenblicken noch stand er in der Versammlungshalle inmitten der langen Tischreihen, an denen die Piraten den Beginn des Parteitags verfolgen.

Anders als zunächst auch die Piraten vermuteten, die ihn aus der Halle begleiten, ist der Mann aber gar kein LINKER, sondern ein Pirat, der seinem Ärger über den aus seiner Sicht zu laxen Umgang der Partei mit dem Rechtsextremismusproblem Luft macht. Die Presse bekommt, weshalb sie (auch) gekommen ist.

Derweil spulen die Piraten im Saal ihr Programm ab: Satzungsänderungen. Nicht sehr aufsehenderregend aber aufschlussreich. Die immer noch junge Partei arbeitet an diesem Tag relativ diszipliniert - von zahlreichen Bitten, doch etwas leiser zu sein - daran, strukturelle Defizite zu beheben. Etwa bei den Schiedsgerichtsverfahren. Solche könnten der Partei vermehrt ins Haus stehen, sollte die Partei nun daran gehen, rechtes Gedankengut und dessen Verbreiter aus der Partei zu werfen.

Ein erleichternder Anfang

Zwei Kandidaten dafür: Carsten Schulz und Dietmar Moews. Schulz, der Anfang April in einem Radiointerview gesagt hatte: »Aber den Massenmord an den Juden darf ich nicht leugnen. Ich finde, das ist letztendlich eine unzulässige Ungleichbehandlung von vergleichbaren historischen Ereignissen«, fällt dabei wohl unter »Leugner*innen«. Während sich Moews mit der Formulierung »Weltjudentum« als »Antisemit*innen« zu erkennen gibt.

Beide sind auf dem Parteitag und beide fordern vom Parteitag eine Antwort. Nachdem Schulz seine Äußerungen anscheinend vor Journalisten wiederholt hatte, reagieren die Piraten schnell. Die Vorstandswahlen werden unterbrochen und ein Antrag wird verabschiedet: »Der Holocaust ist unbestreitbarer Teil der Geschichte. Ihn unter dem Deckmantel der Meinungsfreiheit zu leugnen oder zu relativieren, widerspricht den Grundsätzen der Partei«.

Moews, der für den Parteivorsitz kandidiert, wird bei seiner Vorstellungsrede von manchen ausgebuht, andere halten ihre rote Nein-Stimmkarte nach oben und ein paar hundert Piraten verlassen die Halle. Am Ende erhält er 13 Stimmen (das Wahlverfahren gibt jedem Piraten acht Stimmen, die beliebig verteilt werden können).

In beiden Fällen, besonders aber im Fall des Antrags zur Holocaustleugnung, ist den Piraten die Erleichterung anzumerken, dass sie geschlossen auftreten. Dass keine roten Stimmkarten zu sehen sind. Und dass das Wahlergebnis zeigt, Antisemiten haben nicht den Hauch einer Chance. Auch das wollte die Presse sehen, und die Piraten haben geliefert. Den Spielraum für rechte Umtriebe haben sie eingeschränkt.

Aber noch lange nicht beseitigt. Noch sind Schulz und Moews in der Partei. Und auch das trägt sich auf dem Parteitag zu: Die Plakate der antifaschistischen Piraten werden abgerissen, weil darauf Menschen und ihre Positionen verunglimpft würden. Für die »Meinungsfreiheitsaktivist*innen« gilt ihr Prinzip anscheinend nur in eine Richtung.

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