Spielen ohne Welt!

Ukraine und Utopie

  • Hans-Dieter Schütt
  • Lesedauer: 3 Min.

Hitlers olympische Spiele. Die erhobenen Handschuh-Fäuste bei der Siegerehrung in Mexiko: «Black Power!« Der palästinensische Terrorakt in München. Sowjetisch-sozialistischer Boykottzwang in Los Angeles. Honeckers Wahn-Witz, die Spiele nach Leipzig holen zu wollen. Seit eh, für jede Idee: Der Sport ist Spielball, und die Techniken, ihn damit ins Aus zu schießen, sind ein wahres Vielfaltsangebot. Da rennen Athleten schneller, hechten höher, springen weiter - aber sie schaffen's nicht in luftleere Räume, sie bleiben kleben am Realismus jenes politischen Regelwerks, nach dem die Welt nur durch Krieg, Konflikt, Krise, Kollision und Kampfansage ihre Lebendigkeit beweisen darf.

Nun ist die Ukraine nahe dran, sich als Sportzerstörungsstätte zu profilieren. Die Weizenähren, die das Land symbolisieren, und die lägrige Julia T.: ein Bett quasi im Kornfeld - und immer bösere Töne zu diesem Kasus. Die einen sehen Timoschenko als Opfer einer Diktatur, andere betrachten sie als Kunstgeschöpf einer medialen Folkloreindustrie, »die das synthetische Weib giftblond-deutsch ausstattete und frohlockte, dass dies als Zeichen ukrainischer Europäisierung durchging« (Schriftstellerin Oksana Sabuschko).

Es ist eine fiese Zeit, wenn Mitgefühl und Zynismus, Solidarität und Verachtung, Träne und Tritte derart verquickt just das bilden dürfen, was man öffentliche Meinung nennt. Und dazwischen, verunsichert, Europas Fußballer, die ohnehin Schwierigkeiten haben, in ihren Hochsicherheitstrakten namens Mittelfeld noch einen Freuden-Ort zu sehen. Fußball-EM: hilflose Mienen zum nur noch notdürftig gut gemeinten Spiel.

Jedes Politikerstatement in Sachen Ukraine befördert unfreies Verhalten, denn nur der Sport gerät unter Druck, nicht Kiews Diktatur. Aber Sport müsste doch sein wie das, was Peter Handke sagte: »An Flüssen stehen, das wird Frieden sein.« Also: Suche nach der arkadischen, der unbehelligten Lebensform. So sein, wie wir sind, wenn wir in einem Straßencafé sitzen: Völlig fern dem Gequake einer Roth, unerreichbar fürs Niebel-Nuscheln. Mit Freuden autistisch sein, wenn das Wort Politik fällt! Ein freies Gemüt würde dieser EM nur gelingen, könnte sie radikal abschalten. Man muss doch nicht jeden Ort mit Gewissensarbeit verderben, nur weil er Aufmerksamkeiten auf sich zieht.

Also: Jeder Schuss ein Frohlocken - die blöde Welt ist draußen, nicht im Stadion! Jeder Torschuss ein Bekenntnis zum einzig relevanten Menschenrecht dann, wenn man sich auf einem SPIELfeld befindet! Jeder Zweikampf eine Bekundung: SPIEL ist SPIEL!, alles andere gehe dem Sportler am Trikot vorbei! Und wenn was aus der Politik zu lernen ist, dann nur von der Linkspartei; Gomez steht dafür: Nie wieder Doppelspitze!

Moralisten aber und Mahner: Macht eure eigene EM: Ethos-Meisterschaften mit Ai Weiwei als Ehrenspielverderber - er zersticht tausend Fußbälle in drei Minuten, als wäre er bei »Wetten, dass ?« - dünne Luft pfeift sich eins, sie flieht aus dem Ball wie aus einem Gefängnis. Das rüttelt an der Welt!

Die angebliche Vernunft (jede Seite beansprucht sie) will Einfluss auf die EM nehmen. Wie heißt es bei Shakespeares Luftgeistern: »Ach, was rackert nur der Mensch nach Sinn?/ Wir freuen uns der frohen freien Sphären,/ und wir genießen, was verboten wäre,/ hätte Vernunft das Recht,/ uns zu befehligen.«

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