Respekt allein genügt nicht

Tagung: Zur Versorgung Behinderter braucht man Fachkenntnisse

  • Ulrike Henning
  • Lesedauer: 2 Min.
Menschen mit Behinderungen bekommen in Deutschland nicht die Gesundheitsversorgung, die sie brauchen und die ihnen nach der UN-Behindertenrechtskonvention zusteht. Eine Tagung der Grünen-Bundestagsfraktion untersuchte am Montag in Berlin, wie das zu ändern wäre.
Auch Arztpraxen müssen barrierefrei sein.
Auch Arztpraxen müssen barrierefrei sein.

Schon für den Durchschnittsbürger ist das deutsche Gesundheitssystem mitunter schwer überschaubar. Noch mehr trifft das für Menschen mit Behinderung zu. 7,1 Millionen haben einen Schwerbehindertenausweis. Ihre Einschränkungen können körperlich oder geistig sein, die Sinnesorgane oder die Mobilität betreffen - auch Kombinationen treten auf. Dennoch müssen sie nicht nur in der Frage ihrer Behinderung ärztlich oder physiotherapeutisch versorgt werden. Auch ein Rollstuhlfahrer muss zum Zahnarzt oder eine Blinde zum Orthopäden. Zahlen von 2009 belegen, dass behinderte Menschen dreimal häufiger krank sind. Hinzu kommt, dass sie häufig von Sozialhilfe abhängig sind, und auf Grund ihrer Armut nur schwer die immer mehr geforderten Eigenleistungen im Gesundheitssystem erbringen können.

Michael Seidel, Neurologe und Psychiater bei den Bodelschwingh'schen Stiftungen in Bethel, nennt weitere Defizite in der Versorgung dieser Patienten: ein fehlendes Leistungsrecht, zu wenig Informationen der Betroffenen über ihre Rechte und fehlende Kompetenz in den Gesundheitsberufen. Nötig seien dort nicht nur Respekt, sondern auch Fachkenntnisse sowie die Kompetenz, mit den unterschiedlich Behinderten kommunizieren zu können.

Christian Peters vom AOK Bundesverband berichtete, dass einige regionale AOK-Gliederungen berieten, über Selektivverträge nicht barrierefreie Praxen rigoros auszuschließen. Peters äußerte sich verwundert darüber, dass der Gemeinsame Bundesausschuss (GBA), der über die Finanzierung von Kassenleistungen entscheidet, in diesem Bereich noch keine klaren Vorgaben gemacht habe.

Maik Nothnagel vom Bundesverband Selbsthilfe Körperbehinderter (BSK) wirkt mit an einem Programm zur Sensibilisierung der Ärzte für die Belange Behinderter. Er berichtet von Offenheit für die baulichen Aspekte der Barrierefreiheit - etwa rollstuhlgerechte Praxiszugänge. Aber was die Professionalität der Ärzte betrifft, musste Nothnagel häufig negative Erfahrungen machen. »Defizitorientiert« sei das Behindertenbild vieler Mediziner noch immer. Andere Diskussionsteilnehmer verwundert das nicht, da in einschlägigen Studiengängen Fachkompetenz gegenüber behinderten Patienten nicht vermittelt wird.

Verbesserungen in der Regelversorgung von Behinderten werden schon lange von verschiedenen Seiten verlangt. Ein Weg dahin könnte der Paragraf 116b im Versorgungsgesetz von 2011 sein. Im Gesetzestext geht es allerdings nur um die bessere ambulante Versorgung von Patienten mit seltenen Krankheiten oder Krankheiten mit besonderen Verläufen. Das trifft aber nicht auf alle Behinderungen zu. Außerdem würden neue Strukturen nur da entstehen, wo entsprechende Anbieter aktiv werden - »ein Element der Planung fehlt«, kritisiert Bernhard Gibis von der Kassenärztlichen Bundesvereinigung. Die Behindertenverbände fordern nun auch, dass medizinische Zentren für erwachsene Behinderte eingerichtet werden, analog zu den etwa 100 sozialpädiatrischen Zentren für Kinder und Jugendliche.

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