»Herr Dichter, was spricht er«

Martin Buchholz: Lyrik zum 70.

  • Matthias Biskupek
  • Lesedauer: 3 Min.

Er hat in der ehemaligen Bundesrepublik als Journalist seine Schuldigkeit getan und auch mal bei »Spiegel« und »Stern« geschrieben, vor allem aber für »konkret« und diverse Berliner Blatt-Experimente zugeliefert. Der Mann aus dem Wedding mochte seine Zunge nie im Zaume halten und kalauerte von Herzen, wenn es ihm nötig schien - kein Wunder, dass er beim Kabarett landete und mindestens seit der Deutschen Vereinheitlichung in allen deutschen Ländern bekannt und bepreist wurde. Dennoch galt er immer als »Veröffentlicher aus dem alten Wüst-Berlin«.

Nun wollen wir uns nicht zu lange beim Kabarettisten aufhalten, doch wenn ein dem jugendlichen Sturm und Drang längst Entwachsener Lyrik für sich entdeckt, steckt gewiss was dahinter. Faustdickes eher als Faustisches. Gar manch saftiger Reim kommt heim ins bleiche Dichterreich, denn Bühnenkünstler wissen, dass klingende, singbare Verse den Hörer fesseln können. Vom Gassenhauer bis zum Quodlibet kommt dem spielenden Geist immer ein Kreuzreim in die Quere.

Martin Buchholz (Foto: dpa) hat seine Lyrik in Rubriken gesteckt, die »Herr Dichter, was spricht er« oder »Viel zu Sophisches« heißen. Man merkt: Er wortspielt und sprachbastelt und kalauert für sein Dichterleben gern. Er verwurstet das Volkslied vom Lindenbaum genau so garstig wie Wandrers Nachtlieder; bei ihm spricht Zastertustra, gibt es ein abdescartetes Gedankenspiel und weil deutsche Dichter seit dem Mittelalter den Reim auf das Wort »Mensch« suchen, beteiligt er sich an dieser Suche mit dem »Pensch«, dem Mittelteil vom LamPENSCHirm …

Der Mann ist nach eigenem Bekunden vordergründig und hintertürig; in einem einziges Gedicht versteckt er Mörike und Hölderlin, Storm und Walther von der Vogelweide, mit klirrenden Fahnen und blauem Band und - damit wir ihn auch nicht vergessen: »jenen Tag im blauen Mond September/ … und woran ich mich sonst noch so remember.«

Er nutzt seinen Ringelnatz und seinen Morgenstern und hat gewiss auch die reiferen Zeitgenossen gelesen, Gernhardt und Rühmkorf etwa, aber wir wollen auch Hansgeorg Stengel erwähnen, zumal der Illustrator dieses kapitalen Bandes, Klaus Vonderwerth, ebenfalls aus dem Eulenspiegel-Osten stammt.

Wir haben ausführlich von Form gesprochen, welchen Sinn aber transportiert Buchholz? Was will uns der Dichter sagen? Verficht er eine poetische Idee? Gar eine - pfui Teufel! - politische? Auf welcher Hohen Zinne kämpft er mit welcher Partei? Er schreibt vom Dichter namens Rumsfeld und den Hindukuschern, sein Nachtgebet richtet er ans AKWeh und Rilke lässt er an die Börse gehen: »Herr! Es ist Zeit! Der Jammer ist zu groß / Leg deinen Schatten auf den tristen Euro.«

Vorzeiten emigrierten die Dichter Sachsens allesamt nach Preußen. Der Berliner Buchholz schlägt sich gern mal in sächsische Büsche und weiß vom DDR-Sozialismus: »Er füllte jedes Transparent/ und siechte und siechte permanent«. In Sachsen gilt derlei Deutsch als korrekt - und offenbar fühlt sich Buchholz auch in dieser Umgebung heimisch, sonst stünde am Kopf dieses Buches nicht »lebt in Berlin und Sachsen«.

An welchem dieser wichtigsten Pole unseres gesamtdeutschen Lebens Buchholz heute weilt, weiß der Rezensent nicht zu sagen. Doch wo sollte man schon zum 70. Wiegenfeste sein, wenn nicht daheeme?

Das Geburtstagsgeschenk hat er sich mit dieser Dichterkabarettistenbibel selbst gemacht; man kann auf großen Feiern prima draus vorlesen und auf erheiterte Zuhörer rechnen. Und wenn man das edelgraue Werk mit knallrotem Lesebändchen zu derlei Anlässen verschenkt, bleibt einem nur noch zu sagen: Herzlichen Glückwunsch!

Martin Buchholz: Geh! Denken Geh! Dichte. Mit Zeichnungen von Klaus Vonderwerth, Wostok Verlag. 232 S., geb., 20 €.

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