nd-aktuell.de / 12.05.2012 / Kultur / Seite 24

Der Wind dreht sich

Die Debatte zum Urheberrecht

Tobias Riegel

»Die Attacke« überschrieb »Die Zeit« den erklärenden Artikel zum am Donnerstag in der Wochenzeitung veröffentlichten Künstlerappell zur Stärkung des Urheberrechts. Das ist irreführend. Die Erschaffer kultureller Güter sind im Gegenteil seit geraumer Zeit Ziel absurdester Denunziationen, »Ewiggestrige« oder »Marionetten der Content-Mafia« zu sein. Die so in die Defensive geratenen Kreativen können mit ihrer knappen Erklärung also allenfalls zu einem ersten, längst überfälligen Verteidigungsschlag ausholen.

Die Piratenpartei wiederum würde den Vorgang wahrscheinlich unter dem Titel »Das Imperium schlägt zurück« verbuchen - schließlich steckt nach ihrer kruden Logik hinter jedem Künstler ein fieser Verwerter. Zumindest hinter denen, die das Internet noch nicht begriffen haben. Dass diese Sicht eine erschreckende und (weil Ignoranz geschuldet) ärgerliche Unkenntnis der Lebens- und Arbeitsrealität professioneller Künstler darstellt, wurde mittlerweile auch öffentlich zur Genüge festgestellt. Allein - es dringt nicht durch zu jenen ca 30 Prozent Piratenpotenzial, die offensichtlich keine Kunst machen, aber dennoch anmaßend deren Arbeit und Entlohnung beurteilen wollen.


Krude Logik: Hinter jedem Künstler steckt ein fieser Verwerter.


Denn wie kann man die Verlage als »parasitär« bezeichnen, gleichzeitig aber jenen jugendlichen Archivaren zehntausender Filme und Musiktitel, die sie im Leben nicht konsumieren werden, einen Persilschein ausstellen ( um in der zweifelhaften Sprache zu bleiben).

Natürlich, die Abmahnagenturen sind ein Fluch, die es in die Schranken zu weisen gilt. Ebenso muss eine Bagatell-Toleranz private Kleindownloader entkriminalisieren. Doch eine Welt ohne Verlage, Musiklabels oder Lektoren will man sich gar nicht erst vorstellen.

Einen kleinen Vorgeschmack auf eine solche schrankenlose Publikationskultur bietet die (extrem selbstausbeuterische) Bloggerszene. Zwar besteht hier die theoretische Möglichkeit, als Konsument auf lohnende Beiträge zu stoßen. Man muss dafür jedoch entweder Szenegänger sein oder verdammt viel Zeit und Nerven mitbringen. Wer schon mal einen Song, ein Buch werbungslos ins Netz stellte, weiß: Er hätte es bleiben lassen können, verschwinden diese Beiträge doch augenblicklich im schwarzen Loch der Milliarden Konkurrenzbeiträge.

Zufallstreffer und Youtube-Millionäre gibt es natürlich auch hier. Wobei auch diese »Geheimtipps« oft genug kaschierte Universal- oder Sony-Projekte sind. In der Musikszene ist es zudem so, dass die Megastars zwar unter Downloads leiden, aber immer noch genug verkaufen. Es sind gerade die Newcomer, die unter dem Gratisdiktat besonders zu ächzen haben.

Dazu kommt, dass all jenes Selbstmarketing, das die Piraten den Künstlern zumuten möchten, zeitlich wie nervlich die kreative Produktion beschneidet. Abgesehen davon, dass Kreative fast schon naturgemäß schlechte Anwälte der eigenen Sache sind. Wer den Künstlern also die starken Partner wie Management oder Verlag nimmt (damit Produktionsvorschüsse, Werbeetats, Anwälte, Lektorat, Logistik etc), schwächt sie erheblich.

Vergessen wird auch, dass es ja nicht nur Markt-Monster wie Universal gibt, sondern sich in allen künstlerischen Genres auch die kleinen, idealistischen Independent-Verwerter abstrampeln. Was nicht heißt, dass die Marktmacht der Verwertungs-Multis nicht dringend kontrolliert werden muss. Dass ein Musiker beim einsamen Internetvertrieb alle Rechte behält, nutzt ihm jedoch herzlich wenig, wenn seine Produktionen nicht bemerkt werden. Selbstmarketing ist (und bleibt vorerst) in den meisten Fällen die allerletzte Wahl - eben wenn kein Verwerter Interesse bekundet.

Ein eher psychologischer Effekt wird in der Debatte vernachlässigt - der Selbstbetrug der Konsumenten nämlich. Indem sie sich ruckelige, mit dem Handy von der Leinwand abgefilmte, verhunzte Meisterwerke antun oder auf ihre 100 000 geklauten Musiktitel noch 10 000 draufpacken und damit das Auffinden der echten Perlen vollends unmöglich machen, bringen sich die Selbstbediener um so manch kulturelles Ereignis.

Den Autoren des Aufrufs wird vorgeworfen, sich zu sehr auf das bestehende Urheberrechtsmodell zu versteifen. Das ist ungerecht. Zum einen gibt es bislang kein überzeugendes Alternativmodell. Zum anderen ist es ja wohl nicht ausgerechnet die Aufgabe der Künstler, ökonomische Prozesse zu erklären. Sie sollen Kunst machen und dafür angemessen gesellschaftlich und finanziell wertgeschätzt werden. Insofern sind e konkrete Modelle (momentan!) nebensächlich. Angesichts der Defensive, in der sich die aufgebrachten Kreativen befinden, kam es jetzt erst einmal auf das wichtige öffentliche Zeichen an.

Ein Gutes hat die ganze Debatte: Der Wind wird sich früher oder später zugunsten der Künstler drehen - und den entlarvten Piraten ins Gesicht blasen.