nd-aktuell.de / 12.05.2012 / Politik / Seite 2

Es geht um die europäische Dimension

Die Bewegungen in Spanien, Griechenland und Italien haben unterschiedliche Schwerpunkte, aber gemeinsame Ziele

Martin Ling
Am 15. Mai 2011 kam es in Spanien vielerorts zu öffentlichen Platzbesetzungen - inspiriert vom Tahrir-Platz in Kairo. Zum globalen Aktionstag am 12. Mai sind in Spanien Demonstrationen und für die folgenden Tage symbolische Wiederbesetzungen in großem Stil geplant. In Griechenland und Italien wird der Aktionstag hingegen auf kleinerer Flamme gehalten.

Längst haben die Touristen die Platzhoheit auf der Puerta del Sol wieder. Dort wo im Zentrum von Madrid ab dem 15. Mai 2011 die »Indignados« (Empörten) über mehrere Wochen einen Ausnahmezustand herstellten, campierten, diskutierten und demonstrierten: Für eine »Echte Demokratie jetzt!« Unter diesem Namen »Democracia real Ya!« oder wegen des Datums synonym unter M-15 wird die heterogene spanische Bewegung gefasst, die freilich einen Großteil ihrer Mitglieder aus dem gebildeten Mittelstand bezieht, sei es bereits mit akademischem Abschluss oder auf dem Weg dorthin.

Die stärkere Integration von Migranten und einfachen Arbeitern ist eines der Ziele, die sich die M-15 für 2012 gestellt hat. Beim globalen Aktionstag am 12. Mai, der in Spanien in eine Aktionswoche münden soll, geht es jedoch in erster Linie darum, die Sichtbarkeit der Bewegung zu demonstrieren. »Die spanischen Medien haben die Bewegung für tot erklärt«, schildert Daniel Bravo Nieto gegenüber »nd« die Lage. Keine Sichtbarkeit, keine Bewegung - so lautet der Schnellschuss vieler Journalisten. Zwar sei richtig, dass sich die M-15 von den großen Plätzen zurückgezogen hat, doch nur um in den Stadtvierteln Basisarbeit zu leisten, so der Aktivist und Gewerkschafter aus Sevilla. »500 Räumungen wurden in den letzten Monaten verhindert«, verweist der junge Spanier auf durchaus öffentlichkeitswirksame Aktionen, die der Bewegung viel Sympathie in der Bevölkerung bringen, aber in der medialen Öffentlichkeit klein gehalten werden. Laut der Plattform für von Hypotheken betroffene Bürger (PAH), die in allen spanischen Städten versucht, Zwangsräumungen zu verhindern, wurden seit Beginn der Krise rund 300 000 Zwangsvollstreckungen ausgesprochen.

Die um sich greifende Wohnungsnot in Spanien ist nur eines der großen Probleme, die in der Aktionswoche thematisiert werden. »Die sozialen Kürzungen im Bildungs- und Gesundheitssektor, die Privatisierungen, die Arbeitsmarktreform - alles soll in großen Versammlungen öffentlich diskutiert werden«, so Bravo. Der Gewerkschafter bedauert, dass die Gewerkschaften nach dem erfolgreichen Generalstreik vom 29. März dieses Jahres die Aktionswoche nicht aktiv unterstützen, wie es die M-15 ihrerseits getan hatte.

Wie Bravo hält sich auch die griechische Aktivistin Haris Triandafilidou derzeit im Rahmen der von der Rosa-Luxemburg-Stiftung organisierten Rundreise »Keine Zukunft ohne Solidarität - Junge AktivistInnen aus Südeuropa berichten« in Deutschland auf. »Spanien war für die griechische Bewegung ein wichtiger Anstoß, aus dem Schlaf aufzuwachen«, erzählt das Mitglied des Jugendverbandes der Linkspartei SYNASPISMOS. »Die Besetzung der Puerta del Sol hat uns dazu animiert, den Syntagma-Platz in Athen zu okkupieren.« Anfangs habe das die damalige Regierung von Giorgos Papandreou durchaus gebilligt, damit die Bevölkerung Dampf ablassen könne. Doch das habe sich schnell geändert, als sich die Bewegung zum politischen Akteur wandelte und den Generalstreik der Gewerkschaften Ende Juni 2011 unterstützte, mit dem gegen die im Parlament anstehenden Sparpakete protestiert worden sei. »Wir wurden mit einer zunehmenden Repression konfrontiert. Die Polizei jagte uns durch die Straßen in Athen, das erinnerte Zeitzeugen an die Geschehnisse des G-8-Gipfels in Genua 2001«, blickt sie auf die Anfänge der griechischen Bewegung zurück. Seitdem sei die Bewegung ein politischer Faktor mit einer klaren politischen Position. »Seither waren jedes Mal, wenn im Parlament Sparpakete zur Abstimmung standen, viele Menschen auf der Straße, um ihren Unmut zu bekunden.« Als vorläufigen Höhepunkt sieht Triandafilidou die Demonstration am 12. Februar 2012, an der sich mehr Griechen denn je beteiligt hätten - über eine Million. Für den globalen Aktionstag sei in Griechenland nicht viel geplant. »Wir sind derzeit mit unserer Situation nach den Wahlen beschäftigt. Sollte es zu einer Regierungsbildung kommen, die den Sparkurs fortsetzt, ist die Wahrscheinlichkeit groß, dass die Protestwelle von Neuem beginnt«, vermutet die Griechin.

So wie in Griechenland die Ära Papandreou, ist in Italien die Ära von Silvio Berlusconi 2011 zu Ende gegangen. Shendi Vali begrüßt diese Entwicklung. Doch die studentische Aktivistin des Netzwerks Unicommon aus Rom macht auch klar, dass das Ende von Berlusconi zwar zu einem Aufatmen bei der Bevölkerung führte, doch die Verschlechterung der Lebensbedingungen hätte sich unter dem verschärften Sparkurs von Nachfolger Mario Monti sogar noch beschleunigt. Dagegen rege sich vermehrt Widerstand. Arbeiter besetzten Fabriken und Arbeitskonflikte nähmen zu. Für den globalen Aktionstag werde in Italien weniger mobilisiert als für die europäischen Krisenaktionstage in Frankfurt am Main ab dem 16. Mai. »Nur über die europäische Dimension kann die Sparpolitik überwunden werden«, ist sich Vali sicher und weiß sich da mit ihren Mitstreitern Bravo und Triandafilidou einig.