nd-aktuell.de / 16.05.2012 / Politik / Seite 8

Italien fürchtet Rückkehr des Terrors

Nach Angriffen auf Manager und Finanzverwaltungen: Regierung in Alarmbereitschaft

Wolf H. Wagner, Florenz
Italien ist in Alarmbereitschaft und setzt das Militär ein: Vergangene Woche schossen Anarchisten in Genua auf den Manager eines Atomkonzerns und Bürger attackierten Finanzverwaltungen.

Annamaria Cancellieri will hart bleiben. »Italien wird sich vom Terrorismus nicht einschüchtern lassen«, sagte die italienische Innenministerin. Die sozialen Spannungen dürften nicht in eine Serie von Attentaten ausufern. Anlass war ein Anschlag auf den Manager des Atomkonzerns Ansaldo Nucleare, Roberto Adinolfi, auf den am Montag vergangener Woche geschossen worden war. Die Schüsse eines Motorradsozius zerschmetterten ihm das Knie, Adinolfi befand sich nicht in Lebensgefahr.

In einem Flugblatt der »Federazione anarchica informale« (FAI) bekannte sich ein Kommando »Olga« zum Anschlag. Adinolfi gehöre zu den Exponenten des Kapitalismus, die sich trotz des Unfalls von Fukushima für die Wiedereinführung der Kernenergie in Italien einsetzten. Er sei ein Repräsentant der Finmeccanica, des größten Rüstungsunternehmens in Italien. Mit dem »kleinen Stück Blei im Knie« wolle man ihm und allen Vertretern dieser Industrie ein Signal setzen.

Das Innenministerium nahm die Warnung ernst und erhöhte die Sicherheitsstufe. Etwa 400 Objekte im Lande seien einer erhöhten Gefährdung ausgesetzt. 2500 Polizisten, Carabinieri und Angehörige der Guardia di Finanza seien zusätzlich zum Schutz gefährdeter Personen abkommandiert worden. Dabei werden vor allem die Manager der Finmeccanica und der ihr zugeordneten Unternehmen bewacht. Zusätzlich gab Staatspräsident Giorgio Napolitano den Weg frei, dass auch Militäreinheiten zur inneren Sicherheit eingesetzt werden. Der Generalstabschef des Heeres, Claudio Graziano, wurde beauftragt, mit einer Truppe von 1000 Mann die Sicherheitskräfte des Innenministeriums zu unterstützen. Damit setzt die Regierung ein Szenario um, dass bereits unter der Regierung Silvio Berlusconis entwickelt worden war. Regierungschef Mario Monti erklärte, Italien befinde sich zurzeit in einer Phase der erhöhten sozialen Spannungen. Er wies jedoch eigene Verantwortung für die Lage von sich.

Nebst dem Attentat gab es auch Übergriffe auf die Finanzverwaltungen von Neapel und dem sizilianischen Termini Imerese. Aufgebrachte Bürger hatten gegen die wachsende Steuerlast protestiert, das sizilianische Finanzamt besetzt und jenes von Neapel mit Farbbeuteln beworfen. Auch diese Einrichtungen, so die Innenministerin, stünden ab sofort unter besonderem Schutz.

Aufsehen erregte das Auftreten des ehemaligen Rote-Brigade-Angehörigen Sergio Segio im Fernsehen. Befragt, ob man vor einer neuen Welle des Terrors stehe, antwortete Segio dem Moderator, es hänge von der »Antwort des Staates« ab. Massive Polizeiaufgebote wie zu Zeiten des G8-Gipfels von Genua oder im Vorgehen gegen die Gegner eines Hochgeschwindigkeitszuges durch die Alpen seien die falschen Signale. Dies würde nur zu einer Militarisierung des Widerstands führen und neue Terroranschläge auslösen.

Die FAI kündigte an, den Kampf »gegen die Kapitalisten« fortführen zu wollen. Auch aus Solidarität mit den gefangenen »Brüdern und Schwestern in Russland, den USA, Indonesien, Chile und der Schweiz«. Explizit wurden die in Zürich inhaftierten »Ökoterroristen« Silvia, Costa und Billy erwähnt, deren Kampf man fortzusetzen gedenke. Italien wird sich auf einen heißen Sommer vorbereiten müssen. Die sozialen Auseinandersetzungen, auch auf der Straße, werden nicht nur von Terroristen bestritten.

Die Gewerkschaften warnten vor einer Terrorwelle: Auf einer Kundgebung vor Ansaldo Nucleare in Genua, an der auch Sabina Rossa, die Tochter des von den Roten Brigaden ermordeten Gewerkschafters Guido Rossa, teilnahm, erklärten die Anwesenden ihr »Nein« zu jeder Form des Terrors.