nd-aktuell.de / 18.05.2012 / Brandenburg / Seite 12

Plastikkriminalität

Die Neuköllner Ausstellung »Packet-Soup« thematisiert die globale Allgegenwart und Schädlichkeit von Plastik

Ralf Hutter
Jan Kuck in seiner Installation »Packet-Soup«.
Jan Kuck in seiner Installation »Packet-Soup«.

»Tütensuppe« - ein Nahrungsmittel, das sicherlich nicht allzu gesund ist, aber sehr praktisch. Die Neuköllner Galerie Savvy Contemporary gibt dem Wort nun eine neue Bedeutung - die eines globalen Missstands. Ihre aktuelle Ausstellung heißt »Packet-Soup«, und mit diesem englischen Wort für »Tütensuppe« ist »die gigantische Müllsuppe« aus Plastik gemeint, »in der wir täglich unbewusst schwimmen«.

Die Installation, die der Schau den Namen gibt, ist im Eingangsbereich zu sehen. Der Künstler und Designer Jan Kuck hat ein Schwimmbecken gebaut, das mit Plastiktüten gefüllt ist. Dass uns Plastik nicht nur metaphorisch gesprochen massenhaft umschwimmt, machen die US-Amerikanerin Pamela Longobardi und der Engländer Steve McPherson deutlich. Beide sammeln an Stränden, was das Meer an weggeworfenem Plastik anschwemmt.

Im zweiten Raum ist fast über die ganze Fläche hinweg, jedoch in mehr als zwei Meter Höhe, Longobardis »Driftweb for Berlin« angebracht, ein buntes Geflecht aus Teilen von gebrauchten Fischereinetzen und Meerestreibgut aus Plastik. 20 Prozent des Kunststoffes im Meer bestehe aus Fischereiabfällen, sagt Longobardi. Fotos im Flur zeigen sie dabei, wie sie an Hawaiis Küste Netze einsammelt. Seit Jahrzehnten mache sie Urlaub auf Hawaii, erzählt sie. Doch 2006 sei sie zum ersten Mal an der Südspitze der Hauptinsel gewesen, wo eine Meeresströmung Unmengen an Plastikmüll vorbeitrage, der sich dann in einem riesigen Strudel im nördlichen Pazifik sammle. Diese Strudel gebe es in jedem Meer, fügt die Kunstprofessorin von der Universität Georgia an. Sie bezeichnet den Müll im Meer als »Portrait der globalen Konsumgesellschaft, Spiegelung unserer Schicksale, Wünsche, Anmaßung und Genialität«. Longobardis persönlicher Beitrag zu diesem Porträt ist das besagte Ensemble aus Netzteilen und Müll, das sie schon in mehreren Ländern präsentierte. An jedem dieser Orte füge sie ein Stück Plastik, das sie auf der Straße auflese, dem Geflecht hinzu, erklärt sie.

Solches Fremdmaterial hat Steve McPherson für seine Collagen nicht nötig. Der Künstler und Kunstdozent aus der Grafschaft Kent im äußersten Südosten Englands findet mehr als genug Plastik an einem Strand am Ärmelkanal. Die Objekte fotografiert er und stellt sie auf der von ihm geschaffenen Internetplattform www.marineplastic.org[1] aus. Hier erbittet McPherson auch Fotos von anderen plastikgeplagten Stränden. Weil er zudem viel einsammelt, kann der Künstler zusammenpassende Objekte zu beeindruckenden Collagen gruppieren. Einige sind bei Savvy Contemporary ausgestellt. Eine Sammlung von Spielzeugverkehrsschildern etwa, oder Linealteile.

»Das unerwünschte Archiv« nennt McPherson seine Arbeiten. Zu seinen Fundstücken denkt er sich bisweilen Vorgeschichten aus. Doch oft sprechen die Objekte für sich. So ist auf der eine ganze Wand einnehmenden Sammlung von Fotos auch ein Clip einer Brottüte abgebildet. Das Haltbarkeitsdatum ist von 1984, der aufgedruckte Preis 31 Pence. »Heute kostet Brot nicht unter einem Pfund«, erklärt McPherson. Solche, auch ältere Clips finde er massenhaft. Dabei sei es ihm unmöglich, an jenem Strand alles aufzulesen, obwohl das extrem verschmutzte Stück nur 500 Meter lang sei. Eine Reinigung sei auch deshalb nicht möglich, weil ein EU-Gesetz es verbiete, den mit Plastik durchsetzten Sand und Schlamm abzutragen - der darin enthaltenen reichen Tierwelt wegen. »Deshalb wird der Müll nur immer wieder mit Baggern zurück ins Meer geschoben«, erklärt der Künstler.

McPhersons und Longobardis Arbeit kann als archäologisch bezeichnet werden. Sie hat aber zugleich kriminalistischen Charakter. Der Kuratorin Claudia Lamas Cornejo erscheint sie »wie die Arbeit eines Forensikers, der die Beweise des Verbrechens sammelt, identifiziert und dokumentiert.«

Die Ausstellung zeigt auch Filmmaterial von Werner Boote, der mit seinem Dokumentarfilm »Plastic Planet« 2009 großes Aufsehen und Interesse für das Thema erregte. Das krönt den Ansatz, Objekte auszustellen, die gleichermaßen Auge wie Verstand gefallen. Plastik, so eine mögliche Erkenntnis, ist wie Tütensuppen: praktisch, aber in großem Ausmaß sehr ungesund.

Di-So 16-20 Uhr. Finissage am 2.6., 19 Uhr. Begleitheft: 8 Euro, Savvy Contemporary, Richardstr. 43/44, S- und U-Bhf. Neukölln.

Links:

  1. http://www.marineplastic.org