Dürre Wasserflöhe im Polarmeer

Zwei fette Arten wandern nordwärts - Fische und Krabben hinterher

  • Andreas Knudsen, Kopenhagen
  • Lesedauer: 3 Min.
Die vom erwärmten Klima verschobene Eisgrenze um Grönland hat die Zuwanderung atlantischer Wasserflöhe begünstigt - mit negativen Folgen für heimische Fische und Krabben, wie dänische Forscher herausfanden.
Das dänische Forschungsschiff »Porsild« vor Grönland
Das dänische Forschungsschiff »Porsild« vor Grönland

Für das menschliche Auge sind die drei Wasserfloharten, die in der westgrönländischen Diskobucht leben, kaum unterscheidbar. Die Fische und Krabben aber, die von ihnen leben, können sie sehr wohl unterscheiden. Sie bevorzugen die beiden arktischen Wasserfloharten Calanus glacialis und Calanus hyberboreus wegen ihres Fettgehalts von 70 Prozent. Der eingewanderte atlantische Wasserfloh Calanus finmarchicus mit nur 30 Prozent ist für das Leben im kalten arktischen Wasser bei weitem nicht nahrhaft genug.

Die Diskobucht liegt an der Südgrenze des Meereseises und damit der Vorkommen der arktischen Wasserflöhe. Doch die Erwärmung der letzten Jahre hat die Eisgrenze nach Norden verschoben und ändert damit den Jahreszyklus der Wasserflöhe. Im Gegensatz zu den atlantischen Verwandten sind die arktischen mehrjährig. Im Winter ruhen sie auf dem Meeresgrund. Erst wenn das Eis schmilzt und die Algenproduktion mit dem Sonnenlicht schnell wächst, kommen die arktischen Wasserflöhe an die Oberfläche, um sich fortzupflanzen. Mit dem weichenden Eis aber wird dieser Rhythmus gestört. Zudem wird mit steigender Wassertemperatur ihr Stoffwechsel aktiviert, so dass sich auch ihre Fettreserven verringern. Die atlantischen Verwandten haben dieses Problem nicht, da sie einen einjährigen Lebenszyklus haben. Infolgedessen stellen die atlantischen Wasserflöhe bereits etwa die Hälfte des Gesamtbestandes. Vor 15 Jahren noch dominierten die beiden arktischen Arten der kleinen Ruderfußkrebse noch mit 85 Prozent.

Der Wendepunkt war offenbar das Jahr 1997, als besondere klimatische Umstände große Mengen wärmeren Atlantikwassers mitsamt seines pflanzlichen und tierischen Planktons in die Diskobucht brachten. Seitdem ist die Wassertemperatur um 1,5 Grad im Vergleich zum langjährigen Normalwert gestiegen, was die atlantischen Einwanderer gegenüber den heimischen Arten begünstigte.

Die arktischen Wasserflöhe befinden sich seither auf dem Rückzug nach Norden. Wissenschaftler des Aqua-Institutes der Dänischen Technischen Universität (DTU) rechnen damit, dass verschiedene Fischarten sowie die für Grönlands Wirtschaft noch wichtigeren Krabben sich diesem Zug nach Norden anschließen werden.

Eine unbekannte Größe ist gegenwärtig, wie eventuelle Erdölverschmutzungen die Algenwelt und Kleintiere wie Wasserflöhe beeinflussen werden. Westlich der Diskobucht wurde 2011 nach Öl oder Gas gebohrt, jedoch ohne auf Vorkommen zu stoßen. In Laborversuchen am DTU wurden deutlich negative Einflüsse beobachtet, aber die Kenntnisse über die komplexen Verhältnissen in der arktischen Natur sind noch immer begrenzt; Folgewirkungen sind daher nur schwer abschätzbar.

Lexikon: Wasserflöhe

Wasserflöhe (Cladocera) im engeren Sinne sind eine Gruppe der Blattfußkrebse, die überwiegend im Süßwasser heimisch sind. Umgangssprachlich werden oft weitere Kleinkrebse so genannt, die zu den Ruderfußkrebsen zählen. Diese stellen mit rund 13 000 Arten den größten Teil des Zooplanktons der Meere. Ihr Nahrungsspektrum reicht von Blut bis zu Algen. Die Eier der nur wenige Millimeter großen Krebse verbleiben nach der Befruchtung am Leib der weiblichen Tiere, bis die Larven schlüpfen.

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