nd-aktuell.de / 21.05.2012 / Kommentare / Seite 4

Feudalisierung

Kurz, Nick, Luft & Hickel

Harry Nick
»Der ›Geldadel‹ bildet die oberste Gesellschaftsschicht im heutigen Kapitalismus.«
»Der ›Geldadel‹ bildet die oberste Gesellschaftsschicht im heutigen Kapitalismus.«

Seit dem 2008 erschienenen Buch »Reichtum ohne Leistung. Die Feudalisierung der Schweiz« von Hans Kissling wird das Wort »Feudalisierung« öfter gebraucht als Name für Veränderungen in der Welt der Reichen und Mächtigen. Der »Geldadel« bildet die oberste Gesellschaftsschicht im heutigen Kapitalismus, die in der Tat viel weniger mit dem Kapitaleigner in der Gestalt eines Unternehmers gemein hat als mit den Feudalherren des Mittelalters. In dieser obersten Schicht der Kapitalistenklasse und ihrem Wirken zeigt sich am deutlichsten die Alterskrankheit: der grassierende Parasitismus der kapitalistischen Gesellschaften. Was wir heute erleben, ist wohl das historisch größte Schauspiel darüber, wie - nach einem Wort von Marx - eine Gesellschaft an ihrem Reichtum zugrunde gehen kann.

Die seit den 1970er Jahren kräftig gestiegenen Einkommen der Begüterten bei gleichzeitig stagnierenden bzw. sinkenden Einkommen der Normalverdiener, Arbeitslosen und Rentner haben mit Leistungsentwicklungen nichts zu tun. Einkommen und Vermögen der obersten Schicht der Reichen haben mit eigener Arbeit nichts mehr zu tun, denn sie arbeiten nicht. Es sind wie im Feudalismus Vermögen und Einkommen »per Status«, ererbt und vererbbar. Hinzu kommt eine dem Kapital eigene »Selbstvermehrung«, die in der Tat den Anschein erweckt, als ob Geld »arbeitet«.

Die Freiheit der Angehörigen dieser Gesellschaftsschicht der Reichen und Mächtigen ist in der Tat grenzenlos, denn alles Käufliche ist für sie erreichbar. Und ihre Verantwortung gegenüber den Mitmenschen ist gleich Null; die Prozeduren ihrer Reichtumsvermehrung kennen kein Risiko; und wenn, dann wird es auf die Allgemeinheit abgewälzt. Die Angehörigen des Geldadels haben von den übrigen Sterblichen abgeschottete Lebensräume, eigene Lebensweisen. Aber sie mischen sich gern mit den Spitzen der Amts- und Funktionsträger, der »berufstätigen Eliten«, der Politiker, Wirtschaftsbosse, Wissenschaftler und Künstler. Solche Begegnungen sind wechselseitig schmückend, prestigesteigernd.

Nicht alle Neu-Feudalen verbringen die meiste Zeit auf Safaris, Segelyachten und Gelagen. Manche sind Kunstmäzene und Financiers von gemeinnützigen Stiftungen, denen sie gerne auch ihre Namen geben. Und manche bewegen sich durchaus auch in politischen Räumen. Hier sind vor allem die von Konzernen und dem Geldadel initiierten und finanzierten Weltforen zu nennen.

Es gibt sehr viele solche internationale Foren der »Privatisierung der Macht«. Die bekanntesten und bedeutendsten sind zweifellos das Weltwirtschaftsforum in Davos und die Münchner Sicherheitskonferenz. Im Unterschied zu diesen, die auf starke mediale Ausstrahlung bedacht sind, gibt es auch solche, die nicht nur öffentliche Kontrolle, sondern Öffentlichkeit überhaupt ablehnen, im Verborgenen wirken. Zu ihnen gehört vor allem die seit 1954 jährlich stattfindende geheime Bilderberg-Konferenz, deren prominenteste Teilnehmer Angehörige des belgischen und des englischen Königshauses sind. Jedenfalls ist diese Welt nicht zu verstehen, wenn man ihr nur eine freiheitlich-demokratische Grundordnung zuschreibt. Sie hat auch eine plutokratisch-feudale Grundordnung.

In der wöchentlichen nd-Wirtschaftskolumne erläutern der Philosoph Robert Kurz, der Ökonom Harry Nick, die Wirtschaftsexpertin Christa Luft und der Wirtschaftsprofessor Rudolf Hickel Hintergründe aktueller Vorgänge.