Ich oder Nicht-Ich?

Jelinek am DT

  • Gunnar Decker
  • Lesedauer: 3 Min.
Almut Zilcher
Almut Zilcher

Der Titel des Stücks ist aus den Silben des Namens Robert Walser zusammengesetzt - zweimal »er« in Vor- und Nachnamen, aber beide Male kein Ganzes bildend, nur Bruchstücke. Derart sind die Assoziationen Elfriede Jelineks: Worte zeugen Worte, Silben sind Inseln einer Welt, die im Ganzen unbewohnbar wurde. Da ist viel Hermetik im Spiel, die Worte winden sich um sich selbst, mitunter scheinen sie sich zu erwürgen, werden dann auf prätentiöse Weise in ihr Grab gelegt. Aber: Es hat Höhe, es geht immer um etwas und nicht um - nichts.

Auch in dieser Inszenierung in der DT-Box von Felicitas Brucker. Elias Arens, Myriam Schröder und Almut Zilcher sprechen abwechselnd einzelne Bruchstücke, die zusammengesetzt Jelinek-Sätze ergeben, also: sich fortzeugende Assoziationsketten. Die Bühne von Steffi Wurster: ein dreh- und schiebbares Podest auf Rädern, mit transparentem Hintergrund: halb Fenster, halb Fernseher. Aber weder Aussicht noch Einsicht ist möglich, manchmal wird das Licht angeschaltet, leuchtet die Scheibe milchig. Ein Mikrofon schließlich, ein Heizkörper als Sitzbank.

Robert Walser also. Ihn umkreist »er nicht als er«. Dieser große Dichter, der die Welt verabschiedete und die letzten dreißig Jahre seines Lebens in einer Irrenanstalt lebte, auf mögliche Entlassung in die Welt draußen verzichtete. Draußen? Wozu? Drinnen ist auch hier möglich, fast ein Zuhause im Unbehausten. Und: »Ich dürfte den Schlüssel ja jederzeit haben.« Ist das vielleicht die höchste Form von Freiheit: Hinausgehen können, wenn man wollte, aber darauf verzichten? Walser schrieb kaum mehr etwas in der Anstalt: ein Insasse wie alle, ein gewesener Dichter, der nun Tüten klebte, Erbsen sortierte oder Staniolpapier faltete.

Und doch gibt es Sätze von ihm, die dringen in ihrer Weltverlorenheit durch, erschüttern das in angestrengter Selbstgefälligkeit gefangene Heute: »Wenn ich scharf denke, wir es mir ganz blau und grün vor Augen. Schnarchen und Schlafen ist besser als Dichten und Denken. Und damit basta!«

Der Weltvernunft, der es unmöglich scheint, sich gegen die Narrenlogik des vorzeitig Aus-der-Welt-Gehenden (und doch immer noch in diesem vergessenen Winkel Anwesenden) zu behaupten, setzt Jelinek etwas entgegen: das Einsteigen (Einbrechen!) in eine unbekannte Gegenwelt. Angst macht diese nur denen, die aus ihr noch einmal zurückwollen. Nein, Walser wollte nicht zurück in die Wirklichkeit, war ein Vorposten des Zurückbleibens - und faszinierte gerade deshalb Elfriede Jelinek, die doch kaum je aus ihrer Wohnung geht, von Ängsten umstellt ist. Da sprechen zwei Eremiten miteinander.

Almut Zilcher ist das Hauptferment dieser ins Unbestimmte drängenden Abwesenheit. Halb als apokalyptischer Clown, halb als gefallener Engel: Melancholie in der Negation, wortreiches Verschweigen von Existenz. Ich oder Nicht-Ich?

Nächste Vorstellung: 17. Juni

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