nd-aktuell.de / 30.05.2012 / Politik / Seite 7

Nahost: Kalte Flammen in Computern

Virus verseuchte Zehntausende Rechner

Oliver Eberhardt

Was dieser Virus alles kann. Dateien aller Art finden. Jeden Anschlag auf der Tastatur speichern. Regelmäßig Bildschirmfotos anfertigen. Aber auch unbemerkt das Mikrofon einschalten und Gespräche mitschneiden. Und selbstverständlich kann »Flame« (Flamme) das alles auch an diejenigen senden, die seinen Einsatz steuern.

»Dieser Virus ist so komplex, dass wir Jahre brauchen werden, um ihn vollständig zu analysieren«, schreibt Alex Gostev, Mitarbeiter von Kaspersky Labs, im Blog des Unternehmens. Das Sicherheitsunternehmen ist im Auftrag der International Telecommunications Union (ITU), einer UN-Unterorganisation, seit Monaten mit Flame beschäftigt.

Nicht nur die Möglichkeiten, auch die Verbreitung konnten recht zuverlässig erforscht werden: Auf Zehntausenden Rechnern, vor allem in Iran, aber auch in Syrien, Israel und den Palästinensergebieten, Saudi-Arabien, Ägypten und Sudan wurde der Virus gefunden. Kaspersky Labs geht dabei davon aus, dass der Urheber der selbe ist, der vor zwei Jahren Stuxnet, einen Virus, der Teile des iranischen Atomprogramms zeitweise lahmlegte, in Umlauf brachte - allerdings seien die Programme vermutlich zwei verschiedenen Teams zuzuordnen. Wer diese Hintermänner sind, ist derzeit Anlass von Spekulationen. Sicherheitsexperten, aber auch die Vereinten Nationen sind sich sicher, dass ein Staat der wahrscheinlichste Auftraggeber ist.

Und hier gibt es vor allem zwei Verdächtige: Die USA oder Israel. Denn andere Länder haben zwar das Know-how, aber nicht das politische Interesse, eine so komplexe Software nur in einer sehr begrenzten Liste von Ländern einzusetzen. Dabei ist Israel der wahrscheinlichere Kandidat: So erklärte Mosche Ja'alon, Israels Minister für Strategische Angelegenheiten, am Dienstag im Armeeradio, das Land verfüge über Spitzentechnologie und diese Instrumente eröffneten eine Menge Möglichkeiten, was als verdecktes Eingeständnis gewertet wurde. Darüber hinaus weist die Landkarte der Verbreitung auch einige Lücken auf, die auf Israel hindeuten: So wurde der Virus ausgerechnet in Irak, dem Land, das für die USA von Hauptinteresse ist, so gut wie nicht gefunden. Und auch in Jordanien wurde keine Verbreitung festgestellt. Die Sicherheitsapparate Israels, Jordaniens und der USA kooperieren eng miteinander; die Lücken lassen darauf schließen, dass hier Rücksicht genommen wird.

Sprecher von ITU und UNO fordern indes, der Urheber solle umgehend Farbe bekennen, und vor allem solle er dafür sorgen, dass der Virus nicht in falsche Hände gerät: Denn Flame sei nicht allein Spionage-Software, sondern auch eine schlagkräftige Cyberwaffe, die ganze Wirtschaftssysteme lahm legen könnte.