Eckermann in der Lausitz

John von Düffel: »Goethe ruft an«, eine Satire auf den Literaturbetrieb

  • Sabine Neubert
  • Lesedauer: 3 Min.

Dem Geheimnis des Roman-Schreibens à la Goethe auf der Spur, finden wir auf Seite 112 die »Gretchenfrage«: »Wie halten Sie es mit dem ersten Satz?« Wie lautete doch gleich der erste Satz dieses Romans? Kleinlaut blättern wir zurück: »Goethe ruft an.« Der der Buchtitel ist der erste Satz. Und umgekehrt. Das hätten wir eigentlich noch wissen müssen, denn das ganze erste Kapitel des Romans besteht aus einem einzigen, langen, äußerst witzigen Telefongespräch zwischen dem Erzähler (Herrn John von Düffel?) und seinem Goethe.

Warum Goethe? Ganz einfach, weil er der Größte ist und weil jeder große Dichter von K wie Kundera bis W wie Walser sich einmal im Leben an Goethe abarbeiten muss - mal (Selbst-)Parodie, mal (Selbst-)Mystifizierung, alles schön im Wechsel. Wie dachte doch Goethe über Goethe bei Walser? Wir lasen erst kürzlich: »Die ganze Welt ist er.« Nun ist also wieder eine Parodie dran, und alles - mit Ausnahme des Dichterfürsten selbst und der schönen Lausitzer Landschaft - wird auf die Schippe genommen: Romane und Romanschreiber, Viel- und Möchtegernschreiber samt ihren weiblichen Pendants, ein teurer Schreibkurs für »Leichtschreiben« und »Tiefschreiben«, ein Nobelhotel, an dessen Swimmingpool Gespräche über »Warmschreiben«, »Worte-lockern« und, da haben wir es, den ersten Satz stattfinden.

Die wichtigsten Personen des Romans sind ein strahlender Erfolgsautor, der nicht Goethe heißt, den wir aber mit dem Erzähler so nennen, und der Erzähler selbst, ein erfolgloser, von Skrupeln heimgesuchter Romancier, der seit Jahren an einem einzigen unvollendeten Werk sitzt und also unserem Autor John von Düffel, wenn überhaupt, dann allenfalls nur in wenigem gleicht.

Zu einem kleinen, parodistischen Roman gehören selbstverständlich auch die Spielchen von Liebe und Eifersucht und ein bisschen Gruseln. Hier erleben wir es bei einer geheimnisvollen Spreekahnfahrt im Morgennebel. Und so geht‘s los: Goethe ruft an. Er ist schon in jungen Jahren ein Klassiker, ein Literaturgott, der Verfasser zahlreicher Bücher, gerade hat er einen Roman über Goethe geschrieben. Ständig ist er bei Talkshows, Vorträgen und Workshops gefragt. Nun muss er dringend zu einer Vortragsreise nach China fliegen und kann deshalb die zugesagte Leitung eines Schreibkurses in der Lausitz nicht wahrnehmen. Da ist ihm zur rechten Zeit sein alter Freund, unser Erzähler, eingefallen. Es bedarf einiger Überredungskünste, ihn als Ersatzmann zu gewinnen. Alles kein Problem, meint Goethe. Seine Assistentin wird gleich die Mappe mit seinen persönlichen Kursunterlagen vorbeibringen.

Schon tags darauf finden wir den Erzähler, zu Goethes Eckermann avanciert und im Besitz von »Goethes Schreibformel«, im Lausitzer Hotel. Der Vier-Tage-Kurs am Pool kann beginnen. Natürlich gibt‘s alle möglichen Komplikationen. Schwamm, der große Literaturkritiker, findet keinen Romananfang, mit ihm streitet die schöne Hedwig, deren Name natürlich bei der Courths-Mahler entliehen ist. Gründgens, der Hotelmanager, hat alle Hände voll zu tun, weil auch noch die Mappe mit der »Goethe-Formel« verschwunden ist.

John von Düffel ist das alles ganz federleicht in die Feder geflossen. Habe ich »Feder« geschrieben? Goethe ist daran Schuld. Er hat unserem Erzähler seinen wertvollen Füllfederhalter geliehen, und der schöne Goethesche Handschriftzug »Leichtschreiben« wird durch einen einzigen Wassertropfen gleich zu Beginn zu »Leuchtschreiben«.

John von Düffel: Goethe ruft an. Roman. DuMont Buchverlag. 317 S., geb., 19,99 €.

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