nd-aktuell.de / 06.06.2012 / Ratgeber / Seite 26

Volljährig geistig behinderte Person als Pflegekind

Bundesfinanzhof zum Anspruch auf Kindergeld

Der Bundesfinanzhof (BFH) hat unlängst die Voraussetzungen präzisiert, unter denen eine nach Eintritt der Volljährigkeit in den Haushalt aufgenommene geistig behinderte Person als Pflegekind angesehen werden kann - mit der Folge, dass für sie ein Anspruch auf Kindergeld besteht.

Über das entsprechende Urteil des BFH vom 9. Februar 2012 (Az. III R 15/09) informiert die Deutsche Anwalts-, Notar- und Steuerberatervereinigung für Erb- und Familienrecht.

Nach der gesetzlichen Definition sind Pflegekinder Personen, mit denen der Steuerpflichtige unter anderen durch ein familienähnliches, auf längere Dauer berechnetes Band verbunden ist. Das Finanzgericht hatte diese Voraussetzung im Streitfall bejaht und insbesondere ausgeführt, es sei nicht erforderlich, dass die betreute Person behinderungsbedingt in ihrer geistigen Entwicklung einem Kind gleich stehe. Es genüge vielmehr, dass sie nicht selbstständig leben könne und ohne die Aufnahme in die Familienpflege in einem Heim untergebracht werden müsse.

Dieser Ansicht ist der BFH nicht gefolgt. Die betreute Person muss, um Pflegekind sein zu können, wie zur Familie gehörend angesehen und auch behandelt werden. Dies setzt ein Aufsichts-, Betreuungs- und Erziehungsverhältnis wie zwischen Eltern und ihren leiblichen Kindern voraus.

Da die körperliche Versorgung und die Erziehung bei einem nicht behinderten Volljährigen in der Regel keine entscheidende Rolle mehr spielt, kann ein behinderter Volljähriger nur dann Pflegekind sein, wenn die Behinderung so schwer ist, dass der geistige Zustand des Behinderten dem typischen Entwicklungsstand einer minderjährigen Person entspricht.

Aus weiteren Umständen wie der Einbindung in die familiäre Lebensgestaltung, dem Bestehen erzieherischer Einwirkungsmöglichkeiten und einer über längere Zeit bestehenden und auf längere Zeit angelegten ideellen Beziehung muss auf eine Bindung wie zwischen Eltern und ihren leiblichen Kindern geschlossen werden können.

Im Klartext: Für erwachsene Pflegekinder mit geistiger Behinderung haben Pflegeeltern nur in Ausnahmefällen Anspruch auf Kindergeld über das gesetzlich vorgesehene Höchstalter von 25 Jahren hinaus, und zwar dann, wenn die geistige Entwicklung trotz Volljährigkeit der eines Kindes entspricht.

Im konkreten Fall ging es um eine 58-Jährige, die eine fast gleichaltrige Frau zur Pflege aufgenommen und Kindergeld beantragt hatte. Ein ärztliches Gutachten kam aber zu dem Schluss, dass die Frau nicht unter einer schweren geistigen Behinderung litt und auch über einen langen Zeitraum gearbeitet hatte. Einen Anspruch auf Kindergeld hat die Pflegefamilie somit nicht.

Ein Sprecher des Bundesfinanzhofs betonte, dass sich das Urteil zunächst nur auf diesen konkreten Fall bezieht, in dem die Pflegefamilie die geistig behinderte Frau als Erwachsene aufgenommen hat. Wenn ein geistig behindertes Kind bereits vor der Volljährigkeit in einer Pflegefamilie lebe, könne die Bewertung anders ausfallen, so der BFH.