Manchmal träumte er schwer

Hannes Wader 70

  • Martin Hatzius
  • Lesedauer: 2 Min.

Hannes Wader, 1942 bei Bielefeld geboren, mit Anfang 20 ins wildwüchsigere, just ummauerte West-Berlin emigriert, ein Jahrzehnt darauf ins stürmische Hamburg gezogen, wo Gudrun Ensslin seine Wohnung inkognito zum RAF-Quartier umfunktionierte, während Wader durch Europa trampte - »Heute hier, morgen dort« -, jetzt wohnhaft (Wohn-Haft?) im beschaulichen Kassel (na ja, die Documenta); dieser weltläufige Wanderer Wader lebte 25 Jahre lang in einer Windmühle im nordfriesischen Struckum. 1973 bis 1998, der Wind blies in heftigen Böen, die Mühle stand fest, Wader, von 1977 bis 1991 DKP-Mitglied, wankte irgendwann.

1986, 1989: Tschernobyl, Gorbatschow - dem westdeutschen Sänger, der der Friedens- und Anti-AKW-Bewegung, aber eben auch dem besseren System verbunden war, begann der »felsenfeste« Boden der eigenen Überzeugungen unter den Füßen wegzubröckeln. In Rudi Gauls 2011 gestarteten Kinofilm »Wader Wecker Vater Land« bekennt Wader, in jenen Jahren sei ihm die »wunderbare Zeit des Schwarz und Weiß« abhanden gekommen.

Schwarz und Weiß? Nicht dieses Leben: die Eltern Putzfrau und Landarbeiter, ärmliche Verhältnisse; Lehre zum Dekorateur im Schuhgeschäft, nach drei Berufsjahren gekündigt wegen »Musizierens während der Arbeitszeit« (Mandoline, Gitarre); abgebrochenes Grafik-Studium, abendliche Jazz-Muggen (Saxophon, Klarinette); Erweckung des Liedermacher-Gens durch Chansons von Brassens und Folksongs von Dylan, 1966 Durchbruch auf dem legendären Burg Waldeck-Festival, Freundschaft mit Reinhard Mey, der in schweren Zeiten nicht von ihm lässt; Ensslin: Observation, Verhaftung, Politisierung, schärfste Gesellschaftskritik und zärtlichste Poesie, auch auf den Spuren von Eichendorff, Schubert; Volkssänger, plattdeutsch, aber fern jeder platten Volkstümelei, Shanties, Talking-Blues auf Deutsch; über 30 Platten bis hierher ...

Seit 40 Jahren beginnt Hannes Wader fast jedes Konzert mit seinem bekanntesten Lied: »Heute hier, morgen dort«. Darin singt er Verse, die so fest an ihm haften wie der Wind und der Wandel: »Manchmal träume ich schwer/ und dann denk ich, es wär/ Zeit zu bleiben und nun/ was ganz andres zu tun./ So vergeht Jahr um Jahr/ und es ist mir längst klar,/ dass nichts bleibt, dass nichts bleibt, wie es war.« Seit wenigen Tagen ist Wader wieder auf Tournee. Am heutigen Sonnabend wird er 70 Jahre alt. 14 jüngere Wader-Verehrer, Bands und Musikerinnen von Slime bis Dota Kehr, gratulieren mit einer »Salut«-CD, auf der sie Waders Lieder ganz neu und völlig unerhört interpretieren. Der Titel des musikalischen Geschenks? Der ist nicht schwer zu erraten.

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