Unvermutet eröffnete sich eine Zweitwelt

Joochen Laabs zum 75. Geburtstag

  • Carsten Gansel
  • Lesedauer: 4 Min.

Als Joochen Laabs 2006 für seinen Roman »Späte Reise« den Uwe-Johnson-Preis erhielt, weckte dies - so sein Eingeständnis - Irritationen und Bedenken. Es fiel ihm nämlich schwer, mit der »exorbitanten Hervorhebung« der eigenen Person klarzukommen. Das war keineswegs kokettierend gemeint, sondern die Wahrheit! Bescheidenheit wie Zurückhaltung, das sind folgenreiche Tugenden eines Autors, der - man mag es kaum glauben - seinen 75. Geburtstag feiert. Wer sich nicht beständig zum Mittelpunkt der Welt macht, der ist wohl eher in der Lage, den Zustand eben dieser Welt genau beobachtend zu erfassen.

Dahinter steht eine Ernsthaftigkeit, die darauf aus ist unter »die äußere Kruste« zu gelangen. Das muss auf Dauer überzeugen: in der Literatur wie im Leben! Wo beobachtet wird, da ist Nachdenklichkeit eine Folge und eine Distanz zu den übergroßen Losungen und Worthülsen ebenso wie zu medialen Inszenierungen mit ihren vordergründigen Botschaften. Joochen Laabs hat sich wohl auch deshalb gerade in der Stunde des Erfolges Rechenschaft über die Rolle des eigenen Tuns abverlangt. Bei der Verleihung des Johnson-Preises dachte er öffentlich darüber nach, wie es um den Sinn des Schreibens bestellt ist. »Was soll ein Buch gegen einen Krieg ausrichten?!«, so Joochen Laabs damals. »Kommt es angesichts der enormen Bedrängnisse der Welt nicht doch auf ganz direktes Tätigsein an?« Das war eine eher rhetorische Frage, denn umgehend lieferte der Geehrte seine optimistische Antwort nach: »Literatur für verzichtbar zu erklären«, so Laabs, »hieße seines Werts, seines Lebensinhalts benommen zu sein, dazustehen wie Schlemihl - ohne Schatten.«

Der Bezug auf Adalbert von Chamissos phantastische Geschichte kommt nicht von ungefähr und es ist eigentlich eine Metapher, die sich durch Leben wie Werk des Autors zieht. Zunächst führt sie zurück in die Kindheit. 1945 türmten sich Berge von Bruch und Müll vor dem geplünderten Gehöft der Großeltern in der Niederlausitz, es waren Gegenstände, die eigentlich in das Haus gehörten. Auch Bücher. Und in diesem Chaos gab es eine Art Erweckungserlebnis: »Ich las, und was mich umgab, entzog sich mir.«

»Unvermutet eröffnete sich eine Zweitwelt«, die ihn von der ihn umgebenden Zerstörung löste, ihn »von Bedrückungen befreite«. Wenn jemand die »magische Kraft der Worte« in dieser Weise empfindet, dann scheint es fast schon folgerichtig, dass eine solche Person irgendwann selbst bei der Literatur landet. Ab Mitte der 1960er Jahre war die Stimme eines jungen Mannes zu vernehmen, zunächst in Rahmen der sogenannten ›Lyrikwelle‹. Joochen Laabs gehörte zu einer Gruppe von Jungen um Volker Braun, Jurek Becker, Klaus Schlesinger, Helga Schütz oder Gerti Tetzner. Das war eine Generation, die mit ihren künstlerischen Mitteln kritisch an dem in Aussicht gestellten gesellschaftlichen Projekt im Osten Deutschlands mitarbeiten wollte. Ein Blick auf Joochen Laabs Texte - sie haben nichts von ihrer Faszination verloren - gibt Auskunft darüber, wie der hoffnungsvolle Aufbruch zunehmend versandete und die erfahrene Erstarrung Widerständigkeit herausforderte.

»Der Ausbruch«, so lautete der Titel eines gewichtigen Romans, der 1978 erschien, und am Beispiel des Ich-Erzählers Thomas Grobe nachzeichnete, wie die »rostigen Verhältnisse« Stagnation, Gleichgültigkeit, Bitterkeit und schließlich den Ausstieg produzierten. Zehn Jahre später musste der Befund noch katastrophaler ausfallen. »Der Schattenfänger« - die Schlemihl-Bezüge waren bereits im Titel greifbar - war fast schon eine Art Abgesang auf die DDR, obwohl das Vorführen von Destruktion doch gerade Bewegung erzeugen sollte. Der Ich-Erzähler, ein Schriftsteller, markierte einmal mehr die inzwischen eingetretene »Wartesaal-Situation« und einen Zustand von sozialer Isolation.

Wer heute wissen will, warum das Land, das die DDR war, verschwunden ist, der muss diesen Roman lesen! Das in dieser Weise wohl nicht gewünschte Ende hat dem zurückhaltenden Beo-bachter und Erzähler Joochen Laabs nicht die Sprache verschlagen, im Gegenteil. Er hat sich in neuer Weise eingebracht, 1993 bis 1998 als Generalsekretär des PEN-Zentrums (Ost) und dann nach der Vereinigung als dessen Vize-Präsident.

Aber vor allem: Joochen Laabs legte mit seiner »Späten Reise« einen Roman vor, der einen neuen Zugang zu den inzwischen abgenutzten und überzeichneten Bildern von DDR eröffnet. Bewusst verzichtet der Autor darauf, seinem Helden eine Künstlerexistenz zu verpassen. An und mit dieser Figur lässt sich das, was DDR war oder gewesen sein könnte, authentisch erzählen. Die Erinnerungen an die Jahre vor 1989 werden dabei gebrochen durch gegenwärtige Erfahrungen im Land der Kindheitsträume, Amerika!

Joochen Laabs nimmt damit eine Konstellation vorweg, die auch Christa Wolf in ihrem letzten Roman »Stadt der Engel« entworfen hat. Dass Joochen Laabs der Hektik der rasenden Zeit widersteht, wie ein Archäologe akribisch Schichten freilegt, macht den Roman so wichtig. Der Blick von Amerika in die vergangene DDR bietet zudem die Chance, auch naiv-provokante Positionen durchzuspielen. Dazu gehört jene eines Mittdreißigers, der vermutet, den »Ostdeutschen« sei ein »Schicksal ähnlich dem der Indianer beschieden«. So ist es nicht gekommen. Im Gegenteil. Warum? Wer Joochen Laabs Romane neu liest, der könnte eine Antwort finden!

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