Ihre »Erzählungen aus Mähren und Böhmen« schrieb Marta Marková in Deutsch, wie es auch ihre Landsleute Libuše Moníková, Sheila Och oder Ota Filip versuchten. Schließlich lebt sie seit Beginn der 80er Jahre in Wien. 1947 in einem nordmährischen Dorf geboren, war Deutsch für sie während ihrer Kindheit noch die »Sprache des Bösen«.
Über ihre schicksalhaften Wege durch die unterschiedlichen Landschaften Mährens, Böhmens, der Slowakei und Österreichs reflektiert die Journalistin auf episodische Weise. So entsteht ein mosaikartiges Panorama des 20. Jahrhunderts, das einerseits authentisch zu sein scheint - der Vorname Marta wurde lediglich in Miriam verwandelt -, andererseits werden markante historische Ereignisse wie die beiden Weltkriege, die Befreiung vom Hitlerfaschismus, die Veränderung der Machtverhältnisse nach 1948, der Prager Frühling und die anschließende »Normalisierung«, die für viele Betroffene keine war, bis hin zur »Samtenen Revolution« in Bezug zum Familienalltag gesetzt.
So lesen wir von Großmutter Viktoria, die als Kind nach Mähren kam, in ihrer Sehnsucht nach Liebe drei Männer umgarnte und glücklich machte, die ihren geliebten Sohn Hansi frühzeitig sterben sah, ihr mühevoll erworbenes Anwesen in den 50er Jahren durch Verstaatlichung verlor. Miriam erinnert sich an die sorglose Kindheit in der »Welt der goldenen Ähren«, von der Studienzeit in Prag wird erzählt, von Praktika in der Sowjetunion, kurz bevor 1968 die Truppen des Warschauer Pakts in Prag einmarschierten. Ihr blieb danach nur die konspirative journalistische Arbeit.
In Rückblenden wird auch die Vertreibung thematisiert. Zwei Müller lebten im Dorf der Großeltern, ein tschechischer und ein deutscher. Der tschechische wurde nach dem Einmarsch der Deutschen festgenommen und malträtiert. Der deutsche Müller setzte sich für den Freund ein, so dass der, zwar misshandelt, entlassen wurde. Nach 1945 wurde jedoch der deutsche Müller von den Partisanen gezwungen, seine Mühle aufzugeben und mit 25 kg Gepäck nach Deutschland vertrieben.
Die Autorin zeichnet ihre eigene Emigration nach, die schwierige Suche nach Arbeit und Wohnung, den Frust der Kinder in der neuen Umgebung. Beeindruckend die Kapitel über ihre ältere Schwester Marie, die trotz aller Barrieren Lehrerin wurde und die Miriam nach ihrem Weggang nie wieder zu Gesicht bekam. Oder die Episoden über Reichenau, wo sich das Schicksal des Grafen Kolowrat-Krakowsky-Liebensteinsky offenbart, der in der sozialistischen Zeit zum Waldarbeiter wurde.
Der letzte Abschnitt mit dem Titel »Das Gästebuch« (in der DDR schlicht Hausbuch genannt) schildert eine Szene in der Gegenwart. Miriam besucht ihre Mutter im Altersheim. Ausgerechnet Frau Travíncek begegnet ihr dort, die früher mit ihnen im Mietshaus gewohnt hatte, politische Aktivistin, »Stachanow-Arbeiterin«. Verwalterin eben auch jenes ominösen Gästebuches, in dem alle Besuche registriert worden waren. Aber diese Frau war um 1968 ebenso schnell gefallen, wie sie vordem aufgestiegen war. Dass man sich heute nicht mehr grüßt, ist logische Folge.
Wo ist Miriam zu Hause? Mähren und Böhmen haben sie bislang nicht losgelassen, aber sie hat im Ausland Fuß gefasst. - Kurzweilig zu lesen sind die Texte meist allemal. Und das informative Nachwort von Peter Demetz adelt die Autorin ohnehin.
Marta Marková: Familienalbum. Erzählungen aus Mähren und Böhmen. Braumüller Verlag Wien. 205 S., geb., 21,90 €.
Quelle: https://www.nd-aktuell.de/artikel/232141.schoene-sprache-des-feindes.html