Kein Harz IV für arbeitssuchende EU-Ausländer?

Uneinheitliche Rechtsprechung zur Hartz-IV-Zahlung

  • Lesedauer: 3 Min.
Die Jobcenter lehnen zurzeit Anträge auf Hartz IV von Ausländern regelmäßig ab, die sich zur Arbeitssuche in Deutschland aufhalten. Darüber informiert die »A-info« der Koordinierungsstelle gewerkschaftlicher Arbeitslosengruppen in ihrer Juni-Ausgabe 2012.

Dies betrifft auch EU-Bürger sowie Bürger aus Staaten, die das Europäische Fürsorgeabkommen (EFA) unterschrieben haben. Die Betroffenen sollten Widerspruch einlegen und beim Sozialgericht beantragen, im Wege der einstweiligen Anordnung vorläufig Leistungen zu zahlen.

Ob ein Leistungsanspruch besteht, das ist zurzeit umstritten. Die Praxis zeigt jedoch, dass einige Sozialgerichte durchaus einen Hartz-IV-Leistungsanspruch anerkennen.

Warum ist die Frage so umstritten? Nach § 7 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 des Sozialgesetzbuches II (SGB) sind Ausländer, die sich nur zur Arbeitssuche in Deutschland aufhalten, von Hartz-IV-Leistungen ausgeschlossen. Strittig ist, ob dieser Ausschluss aufgrund von höherrangigem Recht verdrängt wird und daher nicht angewendet werden darf. Als höherrangiges Recht kommen das Europäische Fürsorgeabkommen (EFA) sowie EU-Recht in Frage.

Mit dem EFA haben sich die Unterzeichnerstaaten (siehe Kasten) wechselseitig verpflichtet, allen Bürgern den gleichen Zugang zu Sozialleistungen zuzugestehen. Durfte die Bundesregierung im Dezember 2011 einen sogenannten Vorbehalt gegen das EFA erklären und damit festlegen, dass Leistungen nach SGB II nicht in den Geltungsbereich des EFA fallen?

Das EFA sieht zwar solche Vorbehalte, die Leistungen auszuschließen, ausdrücklich vor. Allerdings - und darauf können sich die Antragsteller berufen - sind diese Vorbehalte nur möglich gegen neue Rechtsvorschriften zu Fürsorgeleistungen. Die Bundesregierung hatte den Vorbehalt aber anlässlich einer Entscheidung des Bundessozialgerichts (BSG) erklärt, wonach das EFA den Leistungssauschluss im SGB II verbietet. Eine BSG-Entscheidung ist aber keine »neue Rechtsvorschrift«.

Hinsichtlich des EU-Rechts ist festzustellen: Hier existieren zwei widersprüchliche EU-Richtlinien. Einmal die Richtlinie 2004/883/EG, die - vereinfacht gesagt - grundsätzlich allen EU-Bürgern einen gleichberechtigten Zugang zu Sozialleistungen eines Landes garantiert (Gleichbehandlungsgebot). Im Anhang dieser Richtlinie wird die Grundsicherung für Arbeitssuchende ausdrücklich genannt.

Im Gegensatz dazu regelt die Richtlinie 2004/38/EG, dass kein Mitgliedsstaat verpflichtet ist, Bürgern aus anderen EU-Ländern Sozialhilfeleistungen zu gewähren. Strittig ist also, welche der beiden Richtlinien als speziellere Regelung bezogen auf den Leistungsausschluss nach § 7 SGB II angewendet werden muss. Zu beiden Fragen ist die Rechtsprechung uneinheitlich. Deshalb sollten bis zu einer Klärung durch das Bundessozialgericht Betroffene ihre Ansprüche vor den Sozialgerichten geltend machen.

Kein Geld vom Jobcenter für Umzug aus dem Ausland

Hartz-IV-Empfänger haben bei einem Umzug aus dem Ausland nach Deutschland keinen Anspruch darauf, dass das Jobcenter ihre Umzugskosten übernimmt. Das Sozialgericht Mainz wies am 25. Mai 2012 entsprechende Forderungen in einem Eilverfahren zurück (Az. S 10 AS 412/12 ER).

Der verhandelte Fall: Geklagt hatte eine Frau aus dem Landkreis Alzey-Worms, die vom Jobcenter rund 800 Euro für den Transport von Umzugskisten beantragt hatte. Die Frau war erst Ende 2011 aus Deutschland auf die zu Portugal gehörende Atlantik-Insel Madeira umgezogen, wo sie sich eine neue Existenz aufbauen wollte. Bereits nach einigen Monaten kehrte sie jedoch nach Deutschland zurück.

Das Jobcenter des Landkreises lehnte sowohl eine Kostenübernahme als auch die Gewährung eines Darlehens ab, weil es für eine solche Entscheidung keine Rechtsgrundlage gebe.

Die Vorschriften für Wohnungswechsel innerhalb Deutschlands könnten bei Umzügen aus dem Ausland nicht angewendet werden, so das Jobcenter, da die »Einwanderung in das deutsche Sozialsystem« nicht bezuschusst werden solle.

Dieser Ansicht schlossen sich die Mainzer Richter an. Umzugskosten von Hartz-IV-Empfängern trägt der Staat nur unter strengen Voraussetzungen, etwa beim Wechsel aus einer zu großen in eine kleinere Wohnung oder nach einer Ehescheidung. Auch gesundheitliche Gründe können dazu führen, dass beispielsweise gehbehinderten Menschen ein Umzug finanziert wird. epd/nd

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