nd-aktuell.de / 12.07.2012 / Kultur / Seite 16

Hau ab, wenn du kannst

Kerstin Hensel: »Federspiel«

Irmtraud Gutschke

Da ist dem Verlag ein Kunststücklein gelungen: »Federspiel« klingt nach leichter Sommerlektüre. Verkaufsfördernd. Oder ist es der Autorin eingefallen? Federn kommen tatsächlich in allen drei Texten dieses Bandes vor, beiläufig allerdings. Auch gespielt wird auf mancherlei Weise. Man kann das Buch doch nicht »Abhängigkeiten« nennen oder »Das Unzumutbare«. Wer soll das dann noch kaufen?

An Zumutungen leidet jeder. Wer fühlt sich nicht eingeengt, überfordert? Da könnte einem die Lektüre die beruhigende Erkenntnis vermitteln, dass es bei einem selbst so schlimm nicht ist wie bei Rita aus »Der Gnadenhof«, wie bei Babette aus »Immer bereit« oder Wanda aus »Der Deutschgeber«. Aber am Mut der drei kann man sich ein Beispiel nehmen. Wurden so geduckt, dass man glauben könnte, sie würden nur noch gebückt gehen können, aber mit einem Mal haben sie sich aufgerichtet. Das war kein Spiel. Nein, das war Ernst wie nur irgendwas, und bei anderen Beteiligen blieb kein Auge mehr trocken.

Liest man die Buchankündigung, könnte man erwarten, was man sich üblicherweise unter weiblichem Aufbruch vorstellt. Wie viele Bücher gibt es schon zu diesem Thema: Eine Frau fühlt sich eingeengt in ihrer Bindung, und irgendwann begreift sie, was ihr fehlt. Sie geht. Aufbruchsstimmung als Begleitmusik zu weiblicher Emanzipation. - Bei solchen Büchern sollte man sich spaßenshalber mal vorstellen, die weibliche Hauptgestalt würde durch eine männliche ersetzt, wie dann die Wertungen wären. Aber dies nur nebenbei. Kerstin Hensel hat nicht dieses Klischee bedient. Drei Liebesnovellen? Glotzt bloß nicht so romantisch! Was in ihrem Buch behandelt wird, hat weniger mit Frauenemanzipation zu tun, als mit der Erfahrung von Abhängigkeit, die Frauen seit uralten Zeiten begleitet und so einfach nicht abzuschütteln ist. Die Kehrseite ist nämlich das Gefühl von Verantwortung. Rita kann sich eben lange nicht entschließen, ihre verwirrte Mutter und ihren untüchtigen Bruder zu verlassen, zumal es zu letzterem eine besondere Bindung gibt. Also legt die Autorin Stück für Stück immer mehr Lasten auf Ritas Schultern, als wolle sie ausprobieren, wann Rita zusammenbricht oder doch der Misere den Rücken kehrt. Aber, wie gesagt, Bruder Richard würden wir das übelnehmen.

Auch Babette kommt es bitter an. Alle scheinen sich verschworen zu haben, ihr das glucksende, aufmüpfige Lachen auszutreiben. Fast schaffen sie es, aber dann bricht es wieder hervor - ausgerechnet während eines Staatsbesuchs. Schließlich Wanda und ihr Vater: Was ist das für eine Hassliebe zwischen beiden. Fast schon sarkastisch überzeichnet ist der Charakter des Lehrers, den sie alle »Deutschgeber« nennen, weil er so prinzipien-steif, so streng ist, dass um ihn herum fast alles verdorren müsste. Und dann angelt er sich auch noch eine Schülerin! Mühsam, schmerzlich ist es für Wanda, sich eine eigene Welt zu erschaffen, weil um sie herum so viele vorgegebene Vorstellungen sind.

Hau ab, wenn du kannst, scheint die Autorin ihren Leserinnen zuzurufen - und man vermeint in ihrer festen Stimme dennoch ein untergründiges Zittern zu hören. Heiß-kalter Schmerzhauch, der den Texten Leben gibt.

Kerstin Hensel: Federspiel. Drei Liebesnovellen. Luchterhand. 191 S., geb., 19,99 €.