V-Mann »Günter« bleibt verschwunden

»Geheimdienst-Aufbauhelfer« Peter-Jörg Nocken musste sich vor dem Thüringer Untersuchungsausschuss zur Nazi-Mordserie rechtfertigen

  • René Heilig, Erfurt
  • Lesedauer: 3 Min.
Der Thüringer Untersuchungsausschuss zum Nationalsozialistischen Untergrund (NSU) traf sich gestern zur letzten Sitzung vor der Sommerpause. Als Zeuge geladen war Peter-Jörg Nocken, einst Vizechef des Landesamtes für Verfassungsschutz.

Die Thüringer Abgeordneten stecken noch in den »Vorermittlungen«. Denn der Untersuchungsausschuss begrenzte bisher seine Nachforschungen auf den Zeitraum bis zur - wie die Ausschussvorsitzenden Dorothea Marx (SPD) meinte - »ominösen Garagendurchsuchung im Januar 1998«. Danach war das spätere Mördertrio Uwe Böhnhardt, Uwe Mundlos und Beate Zschäpe untergetaucht.

Peter-Jörg Nocken war Anfang der 90er Jahre nach Thüringen gewechselt, weil er im Landesamt Hessen »keine Aufstiegschancen mehr hatte«. Und so sahen das für sich offenbar auch die Kollegen Hoffmann, Schmidt, Masopust, Bode, Zweigert, Wießner und Schirrmacher.

Die »Aufbauhelfer« und ihr Amtschef Helmut Roewer, der 1994 aus dem Bundesinnenministerium gekommen war, weil der Jurist dort das Gesetz über den Bundesverfassungsschutz kommentiert hatte, nahmen es nicht so genau mit mitgebrachten Vorschriften und Gesetzen. Das betrifft etwa das strikte Verbot, Führungspersonen aus der rechtsextremistischen Szene als V-Leute zu führen. Wie war das mit Timo Brandt, der von Agent Wießner geführt und mit 200 000 D-Mark gesponsert wurde? Der war - so Nocken - »keine Führungsperson«. Und wenn, dann nur »eine von mehreren« beim Thüringer Heimatschutz, aus dem Böhnhardt, Mundlos und Zschäpe hervorgegangen sind. Dass Brandt zur NPD-Führungsmannschaft im Land gehörte, ändert nichts an der Einschätzung des Zeugen, der als Abteilungsleiter Beschaffung verantwortlich war für die V-Mann-Führung. Wichtig sei gewesen, dass Brandt »exklusive, schnelle und brisante« Informationen lieferte. Ohne ihn wäre der Verfassungsschutz auf dem rechten Auge »blind« gewesen.

Gefragt, wer darüber befindet, wer Führungsperson ist und folglich als V-Mann tabu ist, sagte Nocken: »Das entscheidet das Amt.« Die LINKE-Abgeordnete Katharina König wollte das genauer wissen. War der Verfassungsschutz-Informant Thomas Dienel als Chef der bundesweit aktiven Deutsch Nationalen Partei (DNP) eine Führungspersönlichkeit? Nein. War V-Mann Marcel Degner aus Gera, geführt von Agent Zweigert, eine Führungspersönlichkeit? Wieder verneint Nocken und hält Blood&Honour nur für eine »Musikgeschichte ohne politisches Konzept«. Degner war Blood&Honour-Sektionschef in Thüringen und bundesweiter Kassenwart der militanten Truppe, die inzwischen auch als Unterstützer von Böhnhardt, Mundlos und Zschäpe geoutet ist. Aber Führungsperson? »Ich bitte Sie«, mokiert sich Nocken. Kopfschütteln im Saal.

Der Geheimdienst scheute nicht davor zurück, verurteilte Straftäter als Vertrauensleute zu akzeptieren. Auch bei Verurteilungen wegen illegalen Waffenbesitzes oder des Verstoßes gegen das Kriegswaffenkontrollgesetz? LINKE-Politikerin Martina Renner bekam zur Antwort: »Das kommt darauf an...« Natürlich wusste der Zeuge nichts von 35 abgeschmetterten Ermittlungsverfahren gegen Brandt. Dass der Geraer »Musikveranstalter« an einem Anschlag auf eine Moschee beteiligt war, hörte der Ex-Beamte zum ersten Mal. So wie er nichts davon erfahren haben will, dass V-Mann-Führer ihren Schützlingen beim Abfassen von Nazi-Flugblättern geholfen haben. Natürlich hätte er auch »nie und nimmer« zugelassen, dass man »seine« V-Leute über gegen sie und ihre Banden gerichtete Aktivitäten der Polizei informiert. Brandt sagt das Gegenteil und Degner soll vom Verfassungsschutz vor dem Verbot von Blood&Honour gewarnt worden sein.

Auch die im Unterschied zu ihren Kollegen kundigen und engagierten Abgeordneten Renner, König (LINKE) und Adam (Grüne) konnten gestern nicht herausfinden, was die Operation »Rennsteig« für das beteiligte Thüringer Landesamt war. Offen blieb auch, wer V-Mann »Günter« ist. Als man den Präsidenten Roewer Anfang des Jahrtausends in die Wüste geschickt hatte, fand man in dessen Panzerschrank Quittungen, unterzeichnet mit »Günter«. Bei den vermerkten Summen kamen um die 30 000 D-Mark zusammen. Doch niemand - außer Roewer - kennt die Spitzenquelle »Günter«, bestätigte Nocken. Er erinnerte sich, dass »Günter« schon mal Thema war - im Untreueprozess gegen seinen einstigen Chef. Doch dann ging der Vorsitzende Richter in Pension ...

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