»An Stuttgart 21 hängt der Rest«

Die Lehrerin Antje Küster über den verbliebenen Widerstand gegen den Tiefbahnhof

  • Gesa von Leesen
  • Lesedauer: 3 Min.
Stuttgart 21 - da war doch was? Genau, in der baden-württembergischen Landeshauptstadt soll der Hauptbahnhof unter die Erde gelegt werden, viele Bürgerinnen und Bürger haben sich lange dagegen gewehrt. Beim landesweiten Volksentscheid Ende vorigen Jahres sprach sich eine Mehrheit für den Weiterbau des Tunnelbahnhofs aus und es wurde ruhig um Stuttgart 21. Doch es gibt eine Truppe von Widerständlern, die nicht müde wird, vor dem Projekt zu warnen. Mittelpunkt dieses Widerstands ist die Mahnwache am Hauptbahnhof. In einer kleinen Hütte mit Infostand stehen seit zwei Jahren rund um die Uhr Menschen. Warum eigentlich? GESA VON LEESEN hat die Stuttgarter Lehrerin ANTJE KÜSTER (50) danach gefragt.

nd: Frau Küster, seit wann beteiligen Sie sich an der Mahnwache?
Küster: Ich war von Anfang an dabei. Damals am 17. Juli 2010 war das eine eher spontane Entscheidung. Es war Demo, es hat furchtbar geregnet und da kam die Idee von vier, fünf Leuten, einfach vor Ort, also am Hauptbahnhof, zu bleiben, um zu mahnen und zu wachen. Die Mahnwache entwickelte sich dann sehr schnell zu einem Treffpunkt.

Wer trifft sich dort, der harte Kern des Widerstandes?
Diejenigen, die intensiv im Widerstand aktiv sind - Montagsdemos organisieren, Pressearbeit machen - die haben überhaupt keine Zeit, zur Mahnwache zu kommen. Es kommen viele Leute, wir nennen sie immer »unsere Leute«, die einfach nur Mut machen, uns sagen, wie toll sie es finden, dass wir durchhalten. Und es gibt eine ganze Reihe, denen fällt zu Hause die Decke auf den Kopf, die wissen, an der Mahnwache ist immer jemand da, da kann man quatschen und auch mal was loswerden.

Kommen nach so langer Zeit noch politische Gegner?
Oh ja. Wir haben Beschimpfungen gehört von »man sollte euch alle vergasen« bis hin zu »arbeitsloses Pack«. Und es gibt diejenigen, die offenbar versuchen, Druck auf die zuständigen städtischen Ämter aufzubauen, damit wir verschwinden. Dass wir ständig an zentraler Stelle im öffentlichen Raum auf den unsinnigen Tiefbahnhof aufmerksam machen, gefällt vielen überhaupt nicht. Aber zum Glück gibt es das Versammlungsrecht.

Der Volksentscheid über den Bau des Tiefbahnhofs im November 2011 hat eine klare Mehrheit für den Weiterbau ergeben - respektieren Sie dieses Ergebnis nicht?
In Russland hat der Präsident auch eine Mehrheit, aber niemand im Westen käme auf die Idee zu sagen, nun darf niemand mehr gegen Putin demonstrieren. Außerdem bin ich überzeugt, dass bei der Volksabstimmung viele nicht wirklich gewusst haben, worüber sie abstimmen. Und die Kräfteverhältnisse waren unfair. Die Befürworter des Tiefbahnhofes hatten Geld ohne Ende für ihre Propaganda, wir nicht. So konnten wir mit unseren Sachargumenten nicht durchdringen.

Dennoch: Der Bahnhof wird gebaut. Welchen Sinn hat da diese Mahnwache noch?
Ich bin überzeugt, dass die Menschen früher oder später aufwachen. Wenn ganz deutlich wird, dass S21 viel teurer als die angekündigten 4,5 Milliarden Euro wird oder wenn die Tunnelarbeiten im ersten Haus einen Riss verursachen. Wir hoffen, dass die Menschen sich dann wieder mobilisieren lassen.

Sie könnten sich aber doch auch für ein anderes politisches Thema engagieren?
Ich denke, an Stuttgart 21 hängt der Rest: die Demokratie, das Klüngel-System politischer Entscheidungen, die Umverteilung von unten nach oben. Es geht hier um die ganz großen Fragen, nicht nur um einen Bahnhof. Stuttgart 21 ist eines von vielen Großprojekten, in denen all diese Fragen zusammenlaufen. Ich kann jetzt nicht einfach zu Hause bleiben. Mein Beitrag im Widerstand gegen Stuttgart 21 besteht darin, das kritische Bewusstsein der Bürger zu nähren. Da ist Beharrlichkeit ein sehr wichtiger Punkt. Außerdem ist der Widerstand ja mit vielen anderen oppositionellen Gruppen vernetzt und in diesem Netz fühle ich mich sehr wohl. Ich merke, es werden immer mehr und ich gebe die Hoffnung nicht auf, dass wir die Gesellschaft verändern können.

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