Wehret den Anfängern!

  • Ernst Röhl
  • Lesedauer: 3 Min.
Flattersatz: Wehret den Anfängern!

Unser Wohlstand ist in Gefahr! Hans-Werner Sinn, laut »Bild« der klügste Wirtschaftsprofessor Deutschlands, behauptet, die Eurokrise sei schuld. Das aber, Sinn, ist Unsinn. Die größte Gefahr geht nicht vom Euro aus, sondern von der Chemnitzer Sparkasse.

Dieses Geldinstitut drängt der Kundschaft Kreditkarten mit Karl-Marx-Porträt auf, als hieße Nischel-Kamtz noch immer Kor-Morx-Stodt. Und Banksprecher Roger W. sagt, allerhand Neukunden hätten bei ihm schon Konten eröffnet. Das mag am »Kapital« liegen. Vielleicht ist es aber auch bloß die Nostalgie; Karls charismatisches Konterfei schmückte in den Zeiten des Holzdollars bekanntlich schon den blauen Hundertmarkschein. Oder ist es gar der Neustart zum Klassenkampf?

Immerhin besitzen die oberen zehn Prozent der Weltbevölkerung - die Bestbetuchten, Sponsoren, Mäzene - 84 Prozent der Vermögen. Die ärmere Hälfte - Unterprivilegierte, Minderleister, Leistungsempfänger - muss mit einem einzigen Prozent des Reichtums vorlieb nehmen. Darum zeigt sich das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) kampfbereit und schlägt, gleichsam aus heiterem Himmel, eine Zwangsanleihe für Reiche vor, um die Staatsfinanzen zu sanieren.

Deutschland ist die Heimat von Millionen freilaufender Millionäre. Größer als bei uns ist die Millionärsdichte in keinem Land der Welt. 4,4 Millionen, die reichsten acht Prozent der Bevölkerung, besitzen nach Rechnung des DIW mehr als 250 000 Euro pro Nase. Nehmen wir an, der deutsche Staat verdonnerte diese Herrschaften aus Gründen der Staatsraison zum Kauf von Anleihen im Wert von zehn Prozent ihres Vermögens, so kämen auf einen Schlag 230 Milliarden Euro zusammen. Stellt euch bloß mal diesen Rettungsschirm vor, Leute!

Aufstocker und Leiharbeiter bejubeln eine solche Anleihe. Sogar Ralf Stegner, SPD-Chef in Kiel, begrüßt sie als »Solidaritätsabgabe, die dem früheren Lastenausgleich ähnelt«. Und vernünftigen Menschen wie dir und mir dämmert schon lange, dass was passieren muss in Angela Merkels Reich der aufgehenden Schere. Die Reallöhne sinken weiter. Warum eigentlich leiht sich die Postbank bei der Europäischen Zentralbank Geld für 0,75 Prozent und verleiht es nach Ganovenart zum Dispo-Zins von 19,5 Prozent weiter an die Kunden? Und warum müssen die Deutschen auf Kapitalerträge so wenig und auf Arbeitseinkommen so schändlich gewaltige Steuern abdrücken?

Naive Fragen wie diese findet der Finanzminister kontraproduktiv. Seine Bundesregierung sieht in einer Zwangsanleihe für Reiche »kein Modell für Deutschland«. Eine solche Anleihe, sagt er, wäre »weder sinnvoll noch notwendig«. Es gebe »keinen Handlungsbedarf«, auch wenn der französische Präsident sein Gehalt auf eigene Faust um 6000 Euro monatlich verringert hat. Vorschlag zur Güte: Sollten wir nicht lieber lernen, uns über soziale Ungerechtigkeiten zu freuen?! Umverteilen ja, warum nicht? Aber bitte von unten nach oben!

Die »Frankfurter Allgemeine« spricht von »Zwangsneurose«. Die »Welt« beklagt »Enteignungsfantasien«. Experten nennen den Vorschlag »Sommerlochwiedergänger«. BDI-Präsident Keitel sieht den Standort Deutschland bedroht. Rainer Brüderle findet, die Schnapsidee grenze an Sozialismus. Auch Wolfram Weimer, die alarmistische Edelfeder vom »Handelsblatt«, konstatiert einen »Griff in die rote Mottenkiste«. Zwangsanleihen, warnt auch er, seien »Sozialismus«. Und fügt - in eigener Sache! - hinzu: Den Sozialismus in seinem Lauf hält weder Ochs’ noch Esel auf …

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