Nazipropaganda weggeputzt

Antifaschisten entfernen rechte Aufkleber und Plakate / Anschlag auf Aktivisten

  • Jérôme Lombard
  • Lesedauer: 3 Min.

Beschaulich reihen sich die vielen Einfamilienhäuser im Lindhorstweg im Treptower Ortsteil Johannisthal aneinander. In die Stichstraße verirren sich nur selten Autos; Kinder spielen bei sonnigem Sommerwetter auf der Straße. Doch diese vermeintliche Idylle täuscht. Johannisthal zählt mit dem benachbarten Ortsteil Niederschöneweide zu Hochburgen der Berliner Neonaziszene. Das zeigt sich auch im Straßenbild: An Ampeln, Mülleimer, Stromkästen und Straßenschilder werden immer wieder rechte Aufkleber und NPD-Plakate geklebt – zu Hunderten.

Um aktiv gegen diese Entwicklung vorzugehen und den Nazis nicht das Feld zu überlassen, rief die zivilgesellschaftliche Initiative »Uffmucken! Gegen Nazipropaganda in Johannisthal und Schöneweide« zusammen mit dem Bündnis für Demokratie und Toleranz Treptow-Köpenick am gestrigen Mittwoch zu einem antifaschistischen Kiezspaziergang auf.

Mit Reinigungsmitteln und Spateln bewaffnet, versammelten sich rund 100 Antifaschistinnen und Antifaschisten zum gemeinsamen Entfernen der verklebten Materialien. Entlang der Route prangten fast an jeder Laterne Aufkleber mit neonazistischen Aussagen, die es zu entfernen galt.

»Johannisthal ist aufgrund seiner Lage zwischen Rudow und Niederschöneweide zu einem weiteren Aktionsfeld der militanten extrem rechten Kameradschaftsszene geworden. Anders als in Niederschöneweide verfügen die Neonazis hier nicht um gewachsene Strukturen, dafür treten sie aber besonders aggressiv auf«, erklärt Daniel Reiter vom linken Bündnis »Uffmucken«. Erst im Mai dieses Jahres wurden junge Linke von Neonazis beim Entfernen von NPD-Stickern attackiert. Nur mit Glück seien die Jugendlichen mit dem Schrecken davon gekommen, berichtet Reiter.

Auch Hans Erxleben, Sprecher des Treptow-Köpenicker Bündnisses für Demokratie und Toleranz, sieht eine Zunahme von rechter Gewalt in Johannisthal. »Seit der stadtbekannte Neonazi Julian Beyer im Frühjahr dieses Jahres von Rudow nach Johannisthal gezogen ist, nehmen rechte Propagandadelikte und Übergriffe im Kiez deutlich zu«, sagt Erxleben.

Eine neue Qualität erhielten die Angriffe auch durch einen Anschlag im Vorfeld des Spaziergangs. Dieser wurde offenbar von Neonazis verübt. In der Nacht zu Mittwoch hatten die Täter gezielt Fensterscheiben eines Wohnhauses eingeschlagen und den dazugehörigen Hausbriefkasten gesprengt. In dem Wohnhaus lebt der stellvertretenden Juso-Landesvorsitzende Nico Schmolke, der auch Mitglied des Bündnisses »Uffmucken« ist. Ihn wollten die mutmaßlich neonazistischen Täter einschüchtern. »Diese überaus militante Aktion beweist, dass die Neonazis ihre menschenverachtende Ideologie auch in die Tat umsetzen«, sagt Erxleben. Das Ganze zeuge von einer »aggressiven Militanz«. Erxleben fordert, dass die Polizei den feigen Anschlag schnell aufklären müsse. Auch der SPD-Landesvorsitzende Jan Stöß verurteilte den Anschlag auf Schmolke auf das Schärfste.

Indes: Trotz der guten Beteiligung des Spaziergangs war die Aktion nicht von dauerhaftem Erfolg gekrönt. Noch in der Nacht zu Donnerstag klebten Neonazis die gerade gereinigten Stellen wieder voll. »Wir müssen uns langfristig darauf einstellen, mit einer Aktion ist es nicht getan«, sagt Hans Erxleben. Da brauche man einen langen Atem.

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