nd-aktuell.de / 04.08.2012 / / Seite 23

Damit die Panzer schneller rollen

Der Mythos von Hitlers Autobahnen - »Linienführung und Ausgestaltung nach militärischen Gesichtspunkten«

Hartmut Michael Kühn

Es ist ein zählebiger, von Generation zu Generation überlieferter Mythos, die Autobahnen als eine Erfindung und Leistung Adolf Hitlers zu bezeichnen, der damit die Massenarbeitslosigkeit im Deutschen Reich beseitigt habe. Doch wie verhielt es sich wirklich?

Vor 80 Jahren, am 6. August 1932, wurden die ersten zwanzig Kilometer einer Autobahn fertig gestellt: zwischen Köln und Bonn. Zuvor hatte der Architekt Mies van der Rohe, einer der Protagonisten des Bauhauses, einer modernen, liberalen und humanistischen Institution, geschrieben: »Man kann sogar der Auffassung sein, dass mit der Anlage neuer Verkehrsbänder nicht nur die Verpflichtung zur Schonung landwirtschaftlicher Werte verknüpft ist, sondern unter Umständen eine Steigerung des Landschaftsbildes als Aufgabe gestellt.« Aber auch der Bauhäusler knüpfte nur an schon lange vorher vorgetragene Ideen an.

Der Automobilverkehr hatte sich in den Jahren 1920 bis 1925 mehr als verdreifacht. Die Straßen waren dem regen Verkehr nicht mehr gewachsen. Der Wunsch nach einem leistungsfähigen Verkehrsnetz gebar die Idee der Autobahnen - Straßen, auf denen nur Autos verkehrten, mit richtungsgetrennten Fahrbahnen und kreuzungsfrei.

Bereits 1913 wurde die erste dergestalt ausgestattete Straße in Deutschland gebaut, die Automobil-Verkehrs- und Übungsstraße (AVUS). 1921 war sie vollendet, aber ihr Zweck war nicht die Neuordnung des Straßenverkehrs, sondern die Schaffung einer Rennstrecke.

1928 kann mit Fug und Recht als das wahre Geburtsjahr des Autobahnprojekts bezeichnet werden: Gustav Eichler schlug ein Autobahnnetz mit zwölf Großverkehrswegen vor. Im Jahr darauf wurde mit einem Modellbau begonnen, der Strecke, die Köln und Bonn verbinden sollte. Diese erste reguläre Autobahn konnte Monate vor Hitlers Machtantritt eröffnet werden. Alle Ideen, Konzeptionen, konkrete Projekte waren bereits ausgearbeitet, bevor die Nazis 1933 an die Macht gelangten. Sie haben sie lediglich erweitert und zum Teil ihren propagandistischen und militärischen Zielen angepasst. So schrieb der Naziideologe und -praktiker Fritz Todt in einer Denkschrift »Straßenbau und Straßenverwaltung« aus dem Jahre 1932: »Linienführung und Ausgestaltung sind nach militärischen Gesichtspunkten vorgeschlagen.«

Die deutsche Wehrmacht wurde an der Planung und dem Bau der Autobahnen beteiligt. Denn über sie sollte der schnelle Transport von Panzern und sonstigem Kriegsgerät an die Grenzen der Länder erfolgen, die 1938 bis 1940 vom faschistischen Deutschland als erste überfallen wurden: die Tschechoslowakei, Polen, die Benelux-Staaten und Frankreich.

Hitlers Verkehrs- und Militärstrategen erweiterten den Katalog der Anforderungen an die Autobahnen und okkupierten mit deren Umsetzung auch die Urheberschaft für sich. Das erste NS-Gesetz, das den neuen Verkehrswegen gewidmet war, erging am 27. Juni 1933 und der erste Spatenstich unterm Hakenkreuz erfolgte am 23. September gleichen Jahres. Als die Strecke Frankfurt-Darmstadt am 19. Mai 1935 eröffnet wurde, säumten 100 000 Menschen die Autobahn, über die Hitler quasi als Premierengast fuhr.

Zugleich wollten die Nazis mit den Autobahnen die versprochene »Volksmotorisierung« einlösen, jene Idee, der der Volkswagen entsprang. Nebenbei suggerierte die NS-Propaganda einen weiteren Triumph: die Beseitigung der Arbeitslosigkeit. Nun wurden zwar tatsächlich Arbeitslose zum Autobahnbau eingesetzt, 1934 etwa 85 000. Die Höchstzahl von 130 000 zwangsrekrutierten Arbeitslosen 1936 wurde jedoch nie wieder erreicht. Von Abbau der Massenarbeitslosigkeit zu reden, ist in diesem Zusammenhang pure Fälschung.

Die immer wieder bemühte These, mit dem Bau der nunmehr offiziell »Reichsautobahnen« genannten Verkehrswege sei die Arbeitslosigkeit beseitigt worden, stimmt auch deshalb nicht, weil die Entlohnung der zwangsverpflichteten Arbeitslosen nicht höher als deren zuvor erhaltene Arbeitslosenunterstützung war. Sie wurden in Arbeitslagern in der Nähe der Baustellen untergebracht, erhielten dort zwar eine unentgeltliche warme Mahlzeit, aber waren einem strengen, militärisch organisiert Arbeitsregime unterworfen. Inspektionen dienten lediglich als Feigenblatt. Unfälle häuften sich dramatisch.

Im Mai 1934 wurde das Projekt für ein Gesamtnetz mit 6900 Kilometern abgesegnet, von denen pro Jahr tausend Kilometer gebaut und übergeben werden sollten. Ende 1935 waren 108 Kilometer fertiggestellt, ein Jahr darauf hatte sich diese Zahl verzehnfacht und gegen Ende 1938 noch einmal verdreifacht - auf 3046 Kilometer. Bei Kriegsausbruch, am 1. September 1939, verfügte das Gesamtnetz über eine Länge von 3300 Kilometern - gemessen an den großspurigen Bekundungen der Naziführung vorab also ein mageres Ergebnis.

Mit dem Kriegsbeginn verebbte der Autobahnbau. Soldaten waren nun wichtiger als Autobahnerbauer. 1941 kamen noch 90 Kilometer hinzu, 1943 noch einmal 35. Dann war Schluss. Der Krieg mit seinem ständig steigenden Bedarf an Menschen und Material ließ das Projekt sterben, obwohl seit 1940 auch Kriegsgefangene, Zwangsarbeiter und KZ-Häftlinge für den Autobahnbau rekrutiert wurden.

Die militärische Bedeutung der Reichsautobahnen sank im Verlauf des Zweiten Weltkriegs, weil sich die Front von Deutschland entfernte; und als diese nach Deutschland zurückkehrte, hatten die Alliierten die absolute Lufthoheit erobert. Die Autobahnen waren nunmehr auch als Behelfsflugplätze nicht mehr nutzbar.

Zweifellos haben die Autobahnen eine neue Art des Verkehrs ermöglicht, zügiger und bequemer. Sie sind weltweit kopiert worden. Der Hitler-Mythos aber, der sich um sie rankt, ist unhaltbar und gehört endgültig in die Schublade der Lügen und Legenden verbannt.