nd-aktuell.de / 04.08.2012 / Kultur / Seite 25

PLATTENBAU

Michael Saager

Eines kann man den Liars nicht vorwerfen: Faulheit. Das Trio mit wechselnden Wohnsitzen in New York, Berlin und Los Angeles scheut die Wiederholung. Ob man, wie das in ihrem Fall getan worden ist, andauernd von »Bandneuerfindungen« sprechen muss, steht auf einem anderen Blatt. Da die nächste Sensation im Popgeschäft eine Notwendigkeit ist, bedeutet bald jeder Pups, den eine Band auf ihrer jeweils jüngsten Platte nicht gemacht hat, dass sie sich wieder mal neu erfunden hat. Die Liars langweilen sich einfach nicht gern.

Die Gruppe um den außergewöhnlich charismatischen Sänger Angus Andrew, ein Mann, der sowohl tiefste Grabestöne als auch ein seufzend hohes Falsett hübsch irrsinnig auf die Bühne zu bringen weiß, fing 2001 als große Hoffnung des Neo-Postpunk an. Die Liars dachten sich, ach, lieber nicht. Drei Jahre später waren sie eine waschechte Konzept-Band: Die Stücke auf dem Album »They Where Wrong, So We Drowned« tummelten sich allesamt, perkussiv herumlärmend, auf dem Hexentanzplatz zur Walpurgisnacht. Etwas später formten die Liars dicke psychedelische Wolken, anschließend stürzten sie sich auf New Wave.

Das Album »WIXIW« schließt thematisch, räumlich an den Vorgänger »Sisterworld« vonr 2009 an. Aufgenommen in Los Angeles, reflektiert »Sisterworld« Erfahrungen, die Angus Andrew, Aaron Hemphill und Julian Gross im Sumpf von L.A. machten. Das Unterleben, »die Lebensräume, in denen Outcasts und Einzelgänger eine verdrehte Beziehung zum Rest der Gesellschaft führen«, hatte sie interessiert. Na, was denn sonst!? Die gitarren- und schlagzeugbetonten Stücke kriechen daher abgerissen dahin, was sie nicht daran hindert, einem mit Mordsgeschrei ins Gesicht zu springen. Überraschung muss sein.

Prompt handelt es sich bei »WIXIW« um ein beinahe lupenreines Elektronikalbum. Die dunkle Seite von L.A. ist ihre Sache geblieben, kalifornische Nagelpflegestudios besuchen die drei immer noch keine. Im Video zum veritablen Hypno-Schauer-Hit »No. 1 Against the Rush« spielt Andrew das hilflose Opfer eines Serienkillers in Rentnergestalt. Das ist so lustig wie verstörend; ein guter Schauspieler ist der langhaarige Schlacks allerdings nicht. Am besten funktionieren die Stücke, die alle am Computer entstanden und viele auf leicht schrägen, bisweilen ambientartigen Loops basieren, ohne vorgegebenes Bildmaterial. Der Alptraum im eigenen Kopf ist immer noch der unheimlichste.

Sänger Andrews gibt sich lasziv-autistisch, säuselnd-zärtlich. Seltsam, bedrohlich. Seine Kinder möchte man diesem Typen nicht anvertrauen. Das Studio der Liars befindet sich übrigens unter dem Freeway 101. Eine herrlich unwirtliche Umgebung - wie gemacht für dieses schrecklich-schöne Album. Es springt nicht, es lauert.

Liars: WIXIW (Goodtogo/Mute)