nd-aktuell.de / 06.08.2012 / Politik / Seite 2

Rückgriff auf leere Floskeln

Zivilklausel-Bewegung an Hochschulen und Instituten ist notwendiges Gegengewicht zu militärischen Auftraggebern

Peter Strutynski

Im Rahmen der aufkeimenden Zivilklausel-Bewegung an deutschen Hochschulen ist deutlich geworden, wie schwierig es sein kann, rüstungsrelevante Forschungsvorhaben aufzudecken und belastbare Informationen über den Charakter entsprechender Projekte zu erhalten. Hochschulleitungen tendieren auf Anfrage in der Regel zunächst dazu, Militär- und Rüstungsforschung an ihren Einrichtungen zu leugnen oder, wenn das nicht mehr geht, herunterzuspielen.

Wo sich Rüstungsforschung nicht mehr leugnen lässt, suchen sie häufig Zuflucht in der Floskel von der »Wissenschaftsfreiheit«. Auch Militärforscher/innen berufen sich bei ihrem Tun auf das Grundgesetz, in dessen Artikel 5 die Freiheit von Forschung und Lehre verankert ist. Und das zu Recht, war doch auch eine Lehre aus der deutschen Geschichte, dass eine Indienstnahme wissenschaftlichen Geistes durch ein antihumanes, verbrecherisches Regime, wie es der Nationalsozialismus darstellte, ein für alle Mal ausgeschlossen werden müsse. Nur: Die Freiheit von Forschung und Lehre ist nicht grenzenlos. In Art. 5 Abs. 3, Satz 2 heißt es ja auch: »Die Freiheit der Lehre entbindet nicht von der Treue zur Verfassung.«

Damit sind wir auf das Friedensgebot des Art. 26 sowie auf den Vorrang des Völkerrechts nach Art. 25 des Grundgesetzes verwiesen. Nehmen wir den Einigungsvertrag von 1990 hinzu mit seiner ultimativen Friedensformel, wonach »von deutschem Boden nur Frieden ausgehen wird«, dann haben wir einen verlässlichen normativen Rahmen für eine friedensorientierte Außen- und Sicherheitspolitik.

»Freiheit der Wissenschaft« verpflichtet demnach dazu, sich für den Frieden und das solidarische Miteinander von Menschen und Nationen einzusetzen. Dies schließt ein die Ablehnung jeglicher Mitarbeit an Forschung und Entwicklung für militärische »Hardware« (Waffen und sonstige Rüstungsgüter sowie deren technische Fortentwicklung) und »Software« (sozial- und kulturwissenschaftliche oder ethnologische Forschungen, die der Rechtfertigung ungerechtfertigter Kriege oder Kriegsabsichten oder im weitesten Sinn der »psychologischen Kriegsvorbereitung« dienen).

Über das Schlupfloch »Wissenschaftsfreiheit« dürfen keinerlei kriegsrelevante Aktivitäten für private Rüstungsunternehmen oder staatliche Auftraggeber toleriert werden. Und »kriegsrelevant« ist heute sehr vieles, was im Auftrag von Rüstungsfirmen und Bundeswehr geforscht wird, auch wenn es auf den ersten Blick »harmlos« erscheint. Ein Beispiel: Nach Auskunft der Universität Kassel wurden Projekte bearbeitet, die von den Panzerschmieden Kraus Maffei-Wegmann (KMW) und Rheinmetall bezahlt wurden. Dabei ging es um das »Qualitätsmanagement der Produktion« oder um die »Berechnung einer Montageanlage« (»Hessische Allgemeine«, 24.06.2012). Nicht belegt sei dagegen laut Pressesprecher der Uni, dass »das Wissen der Kasseler Forscher direkt in ein Militärprodukt geflossen sei«. Für meinen Geschmack genügt aber schon die »indirekte« Arbeit für ein Rüstungsunternehmen, um von »Rüstungsforschung« ausgehen zu müssen. Vor allem wenn man berücksichtigt, dass sowohl KMW als auch Rheinmetall in Kassel ausschließlich militärische Güter produzieren, handelt es sich bei allen Projekten, die deren Produktionsablauf »optimieren«, selbstverständlich um Rüstungsforschung.

Da hilft dann auch nicht der Hinweis auf die »Legalität« dessen, was die Forscher/innen tun. Laut Pressesprecher der Uni Kassel findet die Freiheit von Forschung und Lehre »ihre Grenzen dort, wo strafrechtliche oder völkerrechtliche Normen verletzt werden«. Die örtliche Zeitung macht daraus: »Alles, was legal ist, darf in Kassel erforscht werden. Das schließt Rüstungstechnik ein.« Diese simple Gleichung gilt aber nur, wenn »legal« auch wirklich »legal« ist. Als der Bundestag 1998 einen Vorratsbeschluss über einen evtl. Angriff auf Jugoslawien fasste (der dann im März 1999 auch erfolgte), war die Mitwirkung an einem Angriffskrieg »legal« vom dafür zuständigen Gremium beschlossen worden. Er war aber grundgesetz- und völkerrechtswidrig, denn er widersprach sowohl dem GG Art. 26 als auch dem Gewaltverbot nach Artikel 2 der UN-Charta.

Für Zivilklauseln und deren Umsetzung im praktischen Wissenschaftsbetrieb zu kämpfen, erfordert also mehr als nur die Herstellung einer komfortablen »Beschlusslage«. Es wird auch deshalb kompliziert, weil - um noch einmal den Pressesprecher der Uni Kassel zu zitieren - »in einer hochtechnisierten Welt eine klare Abgrenzung, welches Wissen zivil und welches auch militärisch genutzt werden kann, kaum noch möglich« ist. Das mag im Einzelfall richtig sein. Bei Aufträgen von Rüstungsunternehmen oder aus dem Verteidigungsministerium oder der NATO oder der Europäischen Verteidigungsagentur wird man doch nicht fehl in der Annahme gehen, dass hier kein ziviler, sondern ein genuin militärischer Zweck Pate gestanden hat. Sie sind daher - solange sich Bundeswehr, NATO und EU an völkerrechtswidrigen Kriegseinsätzen beteiligen - prinzipiell abzulehnen. Das gilt auch für Universitäten, die (noch) keine Zivilklausel haben.