Nobelpreis für die Autobahn!

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MultiethnischerTreffpunkt: das Yaam an der Spree
MultiethnischerTreffpunkt: das Yaam an der Spree

Der zarte, traurige, einsame Dichter Max Herrmann-Neiße sprach im frühen 20. Jahrhundert von »kaltnadelgezogenen Linien, die unser Leben durchziehen, sie sind wie härteste Schnitte durch unsere Sanftmut«. Und Lyriker Oskar Loerke beschwor den Graus vor einer Existenz, die einem Prinzip folgt wie »der Hund der straffen Leine.«

In diesen Worten flackert die Angst der Sensiblen - vor Techniken der ingeniösen Steuerung, vorm Überdruck der Entfremdung, vor den Abschleifungen des Charakters durch uniforme Lebenspraktiken. Selbstredend haben beide Schriftsteller, derart menetekelnd, nicht im Geringsten an die Autobahn gedacht, und doch: Wer beide Zitate unter dem Aspekt des geografiedominanten Betonbandes noch einmal liest, steckt unweigerlich in Analogien. Bis hin zur Wahrheit, dass der Mensch auf Autobahnen nicht steuernd wirkt, sondern tatsächlich wie ein folgsamer Hund, der an straffer Leine hechelt.

Vor 80 Jahren wurde zwischen Köln und Bonn der erste europäische Abschnitt Autobahn eröffnet. Offiziell hieß sie »Kraftwagenstraße«. Kölns Oberbürgermeister Konrad Adenauer betonte die sensationelle »Kreuzungslosigkeit« der 20 Kilometer langen Straße ohne Mittelstreifen - ausgerichtet bereits für Tempo 120, obwohl es die Autos damals durchschnittlich nur auf 60 km/h brachten.

Autobahn. Heute, per Stau, der schweißtreibende Sammelpunkt der Individualtouristen. Erlebnisparcours der total überteuerten Fress-Stützpunkte. Schallschutzstreifen als architektonischer Tummelplatz verhinderter documenta-Designer. Und dauernd Baustellen, die mit Wüstenabschnitten der Sahara um die größte Wanderdüne der Welt wettstreiten.

Auf der Autobahn ist jener Geist, der blitzende Einfälle hat, völlig auf die Polizei übergegangen - dümmer kann's also nicht mehr kommen; das macht doch Hoffnung, wie heutzutage selten etwas. Und längst ist Autobahn zu einem Prinzip geworden, um das Dasein prinzipiell forcierter anzugehen. Am Sonnabend 600 Kilometer von München nach Berlin in fünf Stunden, und der erholsame Sonntag hat klare Geschwindigkeitsvorgaben: Wenn wir vor der Zeit frühstücken, könnten wir, wenn die grüne Welle funktioniert, schon gegen Mittag am See sein, und wenn wir einen Parkplatz erwischen, könnten wir, wenn das Waldcafé geöffnet hat und der Kellner gewillt ist, uns zu bedienen, noch schnell eine Tasse Kaffee trinken, und wenn wir nicht in den Rückstau geraten, könnten wir, wenn die Fahrstühle im Haus nicht defekt sind, schon am frühen Abend wieder vor dem Fernsehapparat sitzen. Tempo!

Bürgers Krieg wird auf Asphalt ausgetragen: Auto ist Waffe, man schießt aus Lücken, Angriff auf der Überholspur, Hupsignale wie Bombenalarm, Stoßstangen-Arroganz ganz aus dem Geist des Panzers. Das ist die Autobahn. Wie war das? »Kaltnadelgezogene Linien, die unser Leben durchziehen, sie sind wie härteste Schnitte durch unsere Sanftmut.«

Und weil das so ist, verdient just die Autobahn den Friedensnobelpreis. Weil nämlich jeder das Grauen kennt - aber dennoch mit maximaler Geschwindigkeit losfährt. Schlimm? Im Gegenteil: Gibt es ein weltweit größeres Zeichen dafür, dass der Mensch, diese unbelehrbare Pappnase, doch ein total vertrauendes Wesen ist?! Hans-Dieter Schütt

David Riley, Barbara Saltman und Errol Shaker (v.l.n.r.) vor dem Ya-Man
David Riley, Barbara Saltman und Errol Shaker (v.l.n.r.) vor dem Ya-Man
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