Nazis aus dem Hitlerhintern

Antifaschisten verzögerten Marsch durch Bad Nenndorf - Kritik an Behörden

  • Hagen Jung, Bad Nenndorf
  • Lesedauer: 3 Min.
Nicht effektiv genug gehen die Sicherheitsbehörden gegen den Rechtsextremismus vor. Mehrfach wurde diese Kritik am Samstag im niedersächsischen Bad Nenndorf laut. Dort hatten sich 461 Nazis zu einem Marsch zusammengerottet. Er begann wesentlich später als geplant; zu verdanken war die Verzögerung antifaschistischen Blockierern.

Ein hässlicher Hintern mit Hitlerfratze verliert bekleckerte Nazis: Diese Karikatur prangte am Samstag auf einem Banner an Bad Nenndorfs Bahnhof. Das Bild sollte ankommenden Rechtsradikalen zeigen, was Bürgerinnen und Bürger von ihnen halten. Die meisten Braunen erblickten das Po-Plakat erst, als sie nach einer unfreiwilligen Wanderung nachmittags das Kurstädtchen erreicht hatten. Grund für die Verzögerung: Antifaschisten, die am Morgen mit dem Zug gekommen waren, blockierten den Bahnsteig. Acht von ihnen ketteten nahe am Gleis aneinander - der Schienenverkehr stand still. Schon im sieben Kilometer entfernten Haste mussten die Nazis ihren Zug verlassen. Ein Busfahrer weigerte sich, die braune Fracht weiter nach Bad Nenndorf zu kutschieren, und so blieb nur die Anreise zu Fuß. Exakt 461 Nazis trafen schließlich ein, so gezählt von der Polizei. Im vergangenen Jahr waren es knapp 700 und 2010 nahezu 1000 gewesen.

Dreieinhalb Stunden später als vorgesehen, gaben dumpfe Trommelschläge das Signal zum Umzug durch die Stadt. Als »Trauermarsch« bezeichneten die Nazis das seit 2006 jährlich wiederkehrende Ärgernis bislang. Nun haben sie es unbenannt in »Ehrenmarsch«. Er führte zum ehemaligen Wincklerbad, in dem der britische Geheimdienst nach dem Zweiten Weltkrieg teils hochrangige Nazis, aber auch andere als »Sicherheitsrisiko« eingestufte Gefangene, bei Verhören misshandelte. Die Rechtsextremisten hatten das Gebäude zur Wallfahrtsstätte erkoren, nachdem ihnen die Märsche zum Grab des Hitler-Stellvertreters Rudolf Heß im bayerischen Wunsiedel verboten worden waren.

Solch ein Verbot erhoffen auch die Bürger, die erneut ihren Unmut gegen die Nazis kundtaten. Auf Initiative des Bündnisses »Bad Nenndorf ist bunt« war nicht nur die Marschroute farbenfroh geschmückt, belebten Partys am Straßenrand den Ort, gaben Spruchtafeln und Pappclowns die Braunen der Lächerlichkeit preis.

Weit über 1000 Menschen mögen es gewesen sein, die ihre Abscheu gegenüber Rassismus und Faschismus auf die Straße brachten. Mit dabei waren viele Unterstützer der Bad Nenndorfer: Parteien und Gewerkschaften, christliche Kirchen und die jüdische Gemeinde ebenso wie Antifaschisten, die sich der Initiative »Kein Naziaufmarsch« angeschlossen hatten.

An mehreren Plätzen gab es »stationäre« Proteste, von vier Männern etwa, die sich in einer Betonpyramide angekettet hatten. Andernorts warnten Politiker vor dem Rechtsextremismus, zum Beispiel Pia Zimmermann, innenpolitische Sprecherin der LINKEN im Landtag. Auch sie hörte die Frage vieler Nenndorfer, ob sich die Naziaufmärsche verbieten lassen, die immerhin bis 2030 angemeldet sind. Das Verbot sei durchaus möglich, sagte die Abgeordnete im Gespräch mit »nd«. Es gebe genügend Gründe, die Nazis rechtlich zu stoppen. Dazu müsse ein eindeutiges Signal aus dem Landtag kommen, und: »Innenminister Uwe Schünemann (CDU) muss sich endlich offenbaren, ob er wirklich gegen die braunen Horden ist oder nicht.«

Jürgen Trittin, Chef der Bundestagsgrünen, zählte zu den Rednern der Protestkundgebung im Kurviertel. Er forderte vom Verfassungsschutz, Aufklärungsarbeit im Bereich des gewaltbereiten Extremismus zu leisten, anstatt die Gesinnung von Mitgliedern demokratischer Parteien zu überwachen. »Hilflosigkeit« bescheinigte auch Sebastian Edathy (SPD), Vorsitzender des NSU-Untersuchungsausschusses im Bundestag, den Sicherheitsdienststellen.

Mit rund 2000 Beamtinnen und Beamten war die Polizei präsent. Wasserwerfer standen bereit, am Himmel wurde eine Beobachtungs-Drohne gesichtet. Die vom Verfassungsschutz angesichts antifaschistischer Blockade-Aufrufe befürchtete Eskalation gab es nicht. Wenn auch unwillig, so gaben die Blockierer doch schließlich den Bahnverkehr wieder frei.

Starke Polizeikräfte waren am Samstagabend in Hannover am Hauptbahnhof aufgezogen. Neonazis wollten dort nach dem »Ehrenmarsch« eine Kundgebung abhalten, die sie aber kurzfristig absagten. Solche - allerdings endgültigen - Absagen wünschen sich auch die Bad Nenndorfer.

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