Bei Anruf Streit unter Sozialisten

Pariser Regionalrat lagert Call Center nach Marokko aus

  • Ralf Klingsieck, Paris
  • Lesedauer: 3 Min.
Anspruch und Wirklichkeit klaffen oft auseinander. Um die Abwanderung von Call-Center-Betreibern zu verhindern, erwägt der sozialistische Industrieminister Montebourg, Telefondienstleistungen wieder kostenpflichtig zu machen.

In der neuen Linksregierung ist Arnaud Montebourg, der Minister für die Belebung der Industrie, einer der Aktivsten. Mit seinen oft ungewöhnlichen Ideen und seinem prononcierten Engagement gegen die Globalisierung macht er sich wenig Freunde - auch unter seinen sozialistischen Genossen in der Regierung.

Abgesehen von der Krise der Autoindustrie, den Entlassungsplänen des PSA-Konzerns und dem staatlichen Hilfsprogramm für diese Branche, die ihn in letzter Zeit besonders beschäftigten, gehörte zu den ersten Projekten des neuen Ministers der Versuch, die immer stärker ins Billiglohnausland abwandernden Telefondienstleister zur Umkehr zu bewegen. Immer öfter meldet sich, wenn man in Frankreich eine Kundendienstnummer wählt, eine Stimme, an deren Dialekt man erkennen kann, dass sie trotz ihres betont französischen Namens in Wirklichkeit in Nord- oder Westafrika zu Hause ist.

Tatsächlich zählen die Call Center französischer Dienstleistungsunternehmen im französischsprachigen Billiglohnausland heute bereits 45 000 Mitarbeiter, während es in Frankreich selbst 240 000 sind, und die Abwanderung weiterer steht bevor. Der finanzielle Anreiz ist hoch: die Lohn- und Nebenkosten pro Mitarbeiter liegen beispielsweise in Marokko bei 13 bis 15 Euro pro Stunde, während es in Frankreich 26 bis 28 Euro sind.

Um den Unternehmern entgegenzukommen, schlug Montebourg vor, das Gesetz von 2008 über kostenlose Dienstleistungen per Telefon zu ändern und diese wieder kostenpflichtig zu machen. Wenn man pro Minute 0,34 Euro berechnet, würden sich die Stundenkosten pro Mitarbeiter im Call Center um 10 Euro verringern, rechnet der Minister vor. Die Unternehmer stehen dieser Forderung mehr als zurückhaltend gegenüber. Sie räumen ein, dass man mit derlei finanziellen Gegenleistungen die heute noch in Frankreich befindlichen Call Center hier halten könnte, aber sie sind nicht geneigt, solche Einrichtungen aus dem Ausland zurückzuholen.

Ende der vergangenen Woche hat das Vorhaben eine politisch brisante Note bekommen, als die Zeitung »Le Parisien« den Plan des sozialistisch geführten Rates der Pariser Region bekanntgab, das Call Center des öffentlich-rechtlichen Nahverkehrsunternehmens der Region STIF nach Marokko zu verlagern. Dadurch würden in Frankreich 80 Mitarbeiter arbeitslos. PS-Ratspräsident Jean-Paul Huchon rechtfertigt sich damit, dass er nur die EU-Vorschriften über eine europaweite öffentliche Ausschreibung des im Februar 2013 auslaufenden Vertrages befolgt hat. Dass das vom Rat mit dem Auftrag bedachte - weil billigere - Unternehmen die meisten seiner Einrichtungen im Ausland hat, sei bedauerlich, aber durch den Regionalrat nicht zu verantworten.

Die rechtsbürgerliche Opposition hat sich natürlich genüsslich darauf eingeschossen und hat in den Medien breit kommentiert, dass dieses Vorgehen von den »Widersprüchen zwischen den Versprechungen des Kandidaten und der realen Politik des Präsidenten François Hollande« zeuge und dass dieser nicht einmal in der Lage sei, seine sozialistischen Freunde in der Regierung und auf regionaler Ebene »auf eine Linie zu bringen«.

Minister Montebourg geht davon aus, dass der Regionalrat »seine Entscheidung noch einmal überdenkt« und erklärt: »Wir dürfen uns nicht zum Sklaven von Regeln machen lassen, die zur Verlagerung von Arbeitsplätzen ins Ausland führen.« So weit bei der Infragestellung von EU-Regeln will Präsident Hollande nicht gehen. Er erklärte nur etwas matt, dass die Verantwortlichen des öffentlichen Dienstes »so weit als möglich« Entscheidungen zugunsten von Arbeitsplätzen in Frankreich selbst fällen sollten. Kämpferisch klingt das nicht, eher wie ein Eingeständnis, wie weit der Linksregierung durch die neoliberalen Marktgesetze bereits die Hände gebunden sind.

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