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»Das ist ein Glücksspiel«

Erneutes Drama um Sonja Pfeilschifter und schlechteste Schützenbilanz seit 1956

  • Erik Eggers
  • Lesedauer: 3 Min.

Alles eine Lotterie, versichert Barbara Engleder. Als es am Sonnabend bereits darum ging, das Abschneiden des Deutschen Schützenbundes (DSB) bei den Olympischen Spielen zu bewerten, da klärte die 29-jährige Sportsoldatin über die Besonderheit ihrer Sportart auf. »Wahrscheinlich sind wir die einzige Sportart, in der jeder Teilnehmer auch Olympiasieger werden kann«, sagte Engleder. »Das ist ein Glücksspiel.« Die Frau aus Triftern hatte gerade den sechsten Platz belegt, im Dreistellungskampf. Als Weltmeisterin.

Wenn das Sportschießen tatsächlich ein Kasino ist, dann haben die deutschen Schützen in den Royal Artillerie Baracks in London erstaunlich beständig auf die falsche Zahl gesetzt. Fünf Medaillen hatte DSB-Sportdirektor Heiner Gabelmann vor den Spielen ausgerufen, davon zwei aus Gold. Doch mit dem Finalauftritt Engleders war die letzte echte Medaillenchance dahin, fast alle Jetons schon verspielt. Pistolenschütze Christian Reitz erreichte zwar am Sonntag überraschend das Finale und wurde dort Siebter. So dürfte der fünfte Platz von Daniel Brodmeier mit dem Luftgewehr die beste Platzierung bleiben. Die schlechteste Bilanz für den DSB seit 1956. Ein sportliches Desaster.

Und ein erneutes Drama für Sonja Pfeilschifter, das Aushängeschild des DSB. Sie war in Topform nach London angereist, berichtete Engleder. »Sie hat uns im Training allesamt verprügelt.« Die 41-Jährige traf, wie sie wollte, auch im liegenden und stehenden Anschlag im Dreistellungskampf lag sie vor den letzten 20 Schuss (knieend) auf dem zweiten Platz - und war dann spektakulär eingebrochen.

Schon 2000, 2004 und 2008 war sie als klare Favoritin gescheitert, es waren stets Tränen geflossen. Und auch am Samstag hatte sich das Drama angedeutet. Das Einschießen in der neuen Position war katastrophal, sie schoss Achter und Neuner in Serie. Verzweifelt blickte sie zu ihrem Coach Heinz Reinkemeier, der konnte sie nicht beruhigen. Als sie in den Wettkampfmodus ging, hatte sie für die letzten 20 Schuss nur noch 16 Minuten. Zu wenig. Mit nur 92 Ringen im letzten Durchgang fiel sie noch aus dem Finale. Eine mäßige 96, und sie hätte noch Chancen auf Bronze gehabt. »Sie hat sich da einfach taktisch verkalkuliert«, kritisierte Gabelmann. »Sie hat im Stehendschießen zu lange um ein, zwei Ringe gekämpft und dann alles am Ende verloren.« Am Ende stand der 19. Platz für die überragende Schützin der Saison.

Pfeilschifter gab hinterher dem Verband eine Mitschuld für ihren erneuten Untergang. »So wie das letzte halbe Jahr gelaufen ist, war es eigentlich ganz gut«, meinte sie. Eine Anspielung auf die Entscheidung der DSB-Funktionäre an, jeden Schützen nur für einen Wettbewerb in London zu nominieren. Sie hatte die Kriterien auch in ihrer Spezialdisziplin erfüllt, dem Luftgewehrschießen auf zehn Metern, war aber aufgrund der olympischen Desaster nicht für den ersten Wettbewerb der Spiele gemeldet worden. »Dafür erwarten die Funktionäre dann vier Tage später eine Goldmedaille«, zeterte die Schützin.

Dieser Plan ist also gescheitert. »Es muss sich was ändern beim DSB«, forderte Pfeilschifter, wurde aber ihrerseits dafür von Engleder kritisiert. »Unsere Mannschaft ist toll, alle saßen bei meinem Finale auf der Tribüne, nur Sonja kapselt sich immer ab«, sagte die Weltmeisterin. Und auch Bundestrainer Claus-Dieter Roth zeigte sich schwer genervt von der Kritik Pfeilschifters. »Das macht wirklich keinen Spaß«, stöhnte er. Doch die Frage, ob er noch einmal so nominieren würde, wollte er nicht beantworten. »Darüber möchte ich erst einmal in Ruhe nachdenken.«

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