Kinderträume

  • Oliver Händler
  • Lesedauer: 2 Min.
ist nd-Sportredakteur und berichtet aus London von den Olympischen Spielen.
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ist nd-Sportredakteur und berichtet aus London von den Olympischen Spielen. nd-

Als ich sechs Jahre alt war, wurde Fußballer Andreas Thom mein erstes Sportidol. Sparen Sie sich die Leserbriefe und Online-Kommentare! Ich war jung und brauchte das Vorbild. Längst bin ich kein Fan des BFC Dynamo mehr. Wahrscheinlich etwa seit 1990, denn da wurde ein Schwede mein nächster Held: Stefan Edberg. Der hatte gerade Boris Becker besiegt. In dessen »Wohnzimmer« Wimbledon. Wenn Sie mich fragen, ist das Zimmer viel zu groß. Wo man den Fernseher auch hinstellt, die Couch auf der anderen Seite steht viel zu weit weg.

Nun ja, seit 22 Jahren will ich an diesen Ort. Wimbledon. Sechsmal war ich mittlerweile in London, nicht einmal war der All England Lawn Tennis Club geöffnet. Üblicherweise ist er das nur zwei Wochen im Jahr für das wichtigste Tennisturnier der Welt. In den anderen 50 wird der »heilige Rasen« gepflegt. Das können auch nur Engländer.

Nun war es also endlich soweit. Erste Amtshandlung: Ab zu Court Nr. 7. Es hätte auch irgend ein anderer Nebenplatz sein können, doch dieser war gerade unbewacht. Einmal über das Geländer gelehnt und ein Büschel Gras herausgerissen. Ich trage es seitdem in meinem Portemonnaie und zeige es jedem stolz, der mir über den Weg läuft. Die meisten schütteln nur den Kopf. Träume eines Kindes.

In meinem ersten Buch über Wimbledon las ich, dass jeder hier ständig Erdbeeren mit Schlagsahne isst. Das war also mein zweiter Tagesordnungspunkt, doch es gibt in diesen Tagen nur den üblichen Olympiafraß. Pizza, Chinanudeln, Wraps ... das IOC hat einfach keinen Sinn für Tradition.

Anders als in den Zeiten von Edberg, Becker und Co. müssen die Spieler auch nicht mehr in reinem Weiß auf den Platz. Selbst Lokalmatador Andy Murray spielt in Dunkelblau. Ist nun mal Schotte. Mittlerweile gibt es sogar Sprechchöre von den Rängen und rhythmisches Klatschen.

Träume gehen nie so in Erfüllung, wie sie sich ein Elfjähriger ausmalt. Stefan Edberg war leider auch nicht da. Trotzdem trage ich jetzt etwas Heiliges in meiner Tasche. Das ist alles, was zählt.

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