nd-aktuell.de / 09.08.2012 / Kultur / Seite 16

Mädchen im Krieg

Tamta Melaschwili: In ihrem Roman »Abzählen« erzählt sie, was vielerorts geschehen kann

Irmtraud Gutschke

Auf dem Titelbild laufen zwei Mädchen über ein Feld - wehende Haare und Kleider. Ninzo und Ketewan, von denen im Buch die Rede ist, sind froh, wenn ihre Familien zu essen haben. Und vom Feld wissen sie: Es ist vermint.

Tamta Melaschwili, geboren 1979, hat auf eine Weise über den Krieg in Georgien 2008 geschrieben, die ungewöhnlich ist, die aufhorchen lässt. Im Mittelpunkt diese beiden 13-Jährigen. Ninzo hat schon Brüste. Ketewan ist noch dünn wie ein Vögelchen und wird deshalb Zknapi genannt. Zknapis kleiner Bruder droht zu verhungern, denn die Mutter hat keine Milch mehr. Da kann nur ein Einbruch in die Apotheke helfen. Ninzos Vater ist im Krieg, die Großmutter liegt im Sterben. Immer wieder ist von der Hoffnung die Rede, dass ein »Korridor« geöffnet wird und man raus könnte aus dieser gottverdammten Konfliktzone. Aber sie leben sozusagen im Frontgebiet, und wir würden schon müde werden, sie zu bedauern, wenn die beiden nicht solche erstaunlichen Charaktere wären: mitfühlend und gerissen, sehnsuchtsvoll und abgebrüht.

Sie verteidigen ihre Jugend, nehmen sich, was ihnen zusteht. Und Freundinnen sind sie, die gehen zusammen durch dick und dünn. »Du hast geschworen, nichts mitzunehmen. Du hast es bei meinem Namen geschworen. Sagt Ninzo: Ach, komm schon, Zknapi, dabei hab ich die Finger über Kreuz gehalten.« Kinder und schon keine Kinder mehr, fast das ganze Buch in wörtlicher Rede. Wie ein Film läuft der Text vor unsren Augen ab. Ein Film über grausigen Alltag, der sich ins Surrealistische hebt. Ein Haus ist voller toter Schmetterlinge, ein halbverwester Toter liegt in der Schlucht, eine Katze wird gequält und ein kleinerer Junge beinahe totgeschlagen. Eine Frau verbrennt die Sachen ihres toten Sohnes. Man könnte viel Geld verdienen, wenn man sich über die Frontlinien wagt. Sind zwei 13-Jährige gegen die Gefahren gefeiht?

Ein Buch über den Krieg ohne Freund und Feind. »Ich glaubte und glaube immer noch daran, dass Gewalt keine Nationalitäten kennt«, sagt Tamta Melaschwili in ihrer Nachbemerkung. Überall könne passieren, was in ihrem Buch geschieht: »in Georgien , Kosovo oder Ruanda.«

Tamta Melaschwili: Abzählen. Roman. Aus dem Georgischen von Natia Mikeladse-Bachsoliani. Unionsverlag. 112 S., geb., 16,95 €.