Unter der Regenbogenfahne in Richtung Normalität

Das Pride House ist Londons Olympiatreffpunkt für schwule und lesbische Athleten und Fans. Sotschi hingegen verbietet so eine Einrichtung für 2014

  • Ronny Blaschke, London
  • Lesedauer: 4 Min.

In einem riesigen Zelt in den Kensington Gardens liegt der Sotschi-Park, darin stellt sich der Gastgeber der Winterspiele 2014 vor, mit Glanzplakaten, Kostümen, traditioneller Musik. »Eine schöne Fassade«, sagt Peter Tatchell. »Doch russische Politiker missachten die Olympische Charta.« Vor wenigen Tagen haben Behörden in Sotschi die Planung eines Treffpunkts für homosexuelle Athleten und Fans während der Winterspiele untersagt: Das so genannte Pride House wäre »Propaganda der Homosexualität«, die Kinder und Jugendliche laut Behörden auf einen »falschen Weg« führen könne.

Der Schwulenaktivist und Stiftungsgründer Peter Tatchell steht am Donnerstagmittag am Albert Memorial und gibt ein Interview nach dem anderen. »Das IOC will eigentlich für Menschenrechte eintreten«, sagt Tatchell und reckt sein Transparent den Sicherheitsleuten entgegen. »Würde es sich um Rassismus oder Antisemitismus handeln, wäre die Aufregung größer.«

Homosexualität und Sport: Dieses Begriffspaar wird auch 2012 von vielen als Widerspruch wahrgenommen. Folgt man der Annahme, dass fünf bis zehn Prozent der Menschen homosexuell sind, so müssten im Olympischen Dorf bis zu 1000 Lesben und Schwule wohnen. Laut Internetportal »Outsports« leben aber nur 23 der Athleten offen homosexuell, darunter drei Männer. Bei den Spielen in Peking 2008 waren zehn bekennend Homosexuelle dabei. Recherchen des Portals ergaben, dass tatsächlich 104 lesbische und schwule Athleten starteten.

In 78 der 204 an Olympia teilnehmenden Ländern ist Homosexualität verboten, in sieben droht sogar die Todesstrafe. »Viele Athleten müssen versteckt leben, sonst wären sie nie für Olympia nominiert worden«, glaubt Peter Tatchell.

In London übernimmt Karen Hultzer deswegen eine Botschafterrolle. Die Bogenschützin aus Kapstadt ist seit wenigen Tagen die einzige offen homosexuelle Olympionikin aus Afrika. Sie hatte sich während des Wettkampfes den Sticker einer Lesben-Aktivistin an ihre Ausrüstung geklebt. Ein Bekenntnis der subtilen Art, das sich in den sozialen Netzwerken rasend verbreitete, aber auch Beleidigungen nach sich zog.

In der Heimat von Hultzer werden Lesben oft Opfer von Gewalt. »Sport ist die Machowelt schlechthin«, sagt Hultzer. »Wenn wir sichtbarer werden und offen darüber sprechen, wird Homosexualität in vielen Augen normaler. Das führt dazu, dass wir bald nicht mehr darüber sprechen müssen.«

Vom Coming Out der 46-Jährigen erfuhren natürlich auch die Organisatoren des Londoner Pride House: des ersten homosexuellen Treffpunkts mit Anbindung an Sommerspiele.

Vergangene Woche nahm Hultzer an der Eröffnung des Hauses teil, das an einem Seitenarm der Themse im östlichen Stadtteil Limehouse liegt. »Niemand ist gezwungen, meinen Schritt nachzumachen«, sagt die Landschaftsgärtnerin. »Aber sollten sich Athleten zu einem Outing entschließen, wissen sie, dass sie nicht allein sind.« Das erste Pride House hatte es 2010 zu den Winterspielen in Vancouver gegeben, der neuseeländische Shorttracker Blake Skjellerup schaute vorbei, war begeistert und entschloss sich zum Coming Out.

Was die Behörden von Sotschi nicht leisten wollen, hat London schon vollbracht: Erstmals hat ein Organisationskomitee eine Verpflichtung zur Vielfalt schon in seine Bewerbung aufgenommen. Das Komitee gründete einen Arbeitskreis zur Einbindung von Minderheiten. Dessen prominenteste Mitglied ist John Amaechi. Der Brite, der einst in der nordamerikanischen Basketballliga NBA spielte, bevor er sich 2007 nach seiner Karriere outete. »Schwule Leistungssportler führen meist ein einsames Leben«, sagt Amaechi. Durch seine Offenheit will er das Thema bei Olympia einen Schritt weiter bringen. Richtung Normalität.

Die Londoner Organisatoren ließen Anstecknadeln verteilen, auf der Regenbogenflagge und Olympia-Logo vereint sind. Als vor den Spielen die freiwilligen Helfer ausgewählt wurden, mussten tausende Kandidaten auch zu folgenden Fragen Stellung nehmen: Wie würden Sie reagieren, wenn Zuschauer sich über Männer beschweren, die Händchen halten? Wohin schicken Sie jemanden, der eine Toilette sucht, aber keinem Geschlecht zuzuordnen ist? Zudem ließ das Komitee in seinen Ratgeber für Athleten touristische Hinweise für Homosexuelle einfließen. Das Pride House veranstaltet Turniere, Konzerte und Workshops.

Für Sotschi war eine Neuauflage dieser Begegnungsstätte geplant. »Wir werden das IOC weiter unter Druck setzen«, sagt der Aktivist Peter Tatchell. Er hat dem IOC einen Brief geschrieben. Ob er an eine ernst gemeinte Antwort glaubt? Tatchell atmet tief - und schüttelt den Kopf.

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